„Die Zange ist eindeutig der wichtigste Risikofaktor für schwere, irreversible Verletzungen der Beckenboden-Muskulatur“, sagt Hans-Peter Dietz und warnt in einer Fachzeitschrift für Geburtshilfe vor der Zunahme an Zangengeburten. Der Professor an der Universität Sydney und Urogynäkologe an der Frauenklinik in Penrith kritisiert insbesondere britische Kollegen, Organisationen und Gesundheitsbehörden, die den Gebrauch der Zange kurzsichtig wieder empfehlen, um den steigenden Kaiserschnittzahlen zu begegnen.
Vaginal-operative Geburten nennt man die natürlichen Geburten, bei denen das Kind feststeckt und die mit Hilfe von Zange oder Saugglocke beendet werden müssen. Solche Geburten verlaufen oft traumatischer als ein Kaiserschnitt und es sind nicht selten hochdramatische Situationen, in denen dann alles ganz schnell gehen muss, weil es dem Kind schlecht geht. Dass man nur zur Vermeidung von Kaiserschnitten jetzt zu Durchhalteparolen für die Schwangeren greift und wieder für ein Instrument eintritt, das sich überlebt hat, liegt für Dietz auch daran, dass man die Folgen einer Geburt für die Mutter noch zu wenig berücksichtigt: „Die Vermeidung von Beckenbodenschäden ist derzeit noch kein Kriterium, an dem sich die Qualität der Geburtshilfe messen lassen muss“, kritisiert der Frauenarzt im Gespräch über seine Veröffentlichung. Dass dies ratsam wäre, dafür sprechen die Daten zu Hauf.

Erst vor einigen Wochen belegte eine Studie aus Norwegen nach Befragung von mehr als 3000 Frauen im Abstand von 15 bis 23 Jahren nach der Geburt ihres ersten Kindes: am schonendsten ist der Kaiserschnitt, vaginale Geburten belasten den Beckenboden deutlich mehr, aber am meisten schaden instrumentelle Entbindungen mit Zange oder Saugglocke, auch hier schnitt die Zange am schlechtesten ab. Gefragt wurde, wie oft Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz und ein Vorfall der Beckenorgane, ein Prolaps, die Frauen belasteten. Beim Prolaps handelt es sich um das Absacken oder Vorwölben von Beckenorganen wie Darm oder Blase in die Scheidenwand, manche Frauen haben das Gefühl, sie würden auf einem Ballon sitzen. Oder die Gebärmutter fällt durch die lockere Scheide ganz nach außen, wie es Piper R. Newton in ihrem Buch „And then my uterus fell out“ beschreibt, in dem sie vor allem mit dem Verschweigen dieses häufigen Leidens ins Gericht geht. Der Druck der Organe auf den Enddarm kann sogar so weit gehen, dass manche Frauen ihren Stuhlgang nur beenden können, in dem sie mit einem Finger nachhelfen.

Eine ebenfalls vor kurzem veröffentlichte schwedische Studie hat das Schicksal von Frauen nach der Geburt eines Kindes zwischen 1985 und 1988 im Rahmen einer nationalen Kohortenstudie verfolgt. Es zeigte sich, dass nahezu die Hälfte der Teilnehmerinnen, 47 Prozent, zwanzig Jahre nach dieser einen Geburt entweder Zeichen von Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz oder Prolaps aufwiesen. Eine Kombination von mehreren Symptomen trat insbesondere nach natürlichen Geburtenauf, fast doppelt so oft wie nach Kaiserschnitt und dreimal so häufig wie bei Frauen, die nie schwanger waren.

Der Muskel, an dem sich diese Schäden manifestieren, ist der Levator ani, der aus mehreren Komponenten besteht, die gemeinsam den Beckenboden formen, das ist also eine Muskelplatte, die das Becken nach unten hin abschließt. Diese Platte weist eine V-förmige Öffnung auf, durch die die Harnröhre, die Scheide und der Enddarm das Becken verlassen. Da sowohl der Darmausgang, die Scheide und auch die Harnröhre auf die Spannkraft aller Anteile dieses großen Muskels angewiesen sind, wird klar, warum es solche Folgen hat, wenn er bei Geburten leidet, was nicht selten der Fall ist. „In rund einem Drittel der natürlichen Geburten erfolgt eine Überdehnung der Muskelfasern, und bei bis zu einem Viertel stellen wir Avulsionen fest“, erläutert Dietz die Ergebnisse von vielen Ultraschallstudien. Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass unter der Geburt die V-förmige Öffnung, der ‚Levator-Hiatus’, massiv gedehnt wird, so dass seine Fläche auf das Zwei- bis Sechsfache zunehmen muss. Avulsionen sind Abrisse des Muskels von der Innenseite des Schambeins, nicht selten beidseits – und sie bleiben fast immer unentdeckt, verborgen unter den darüber liegenden Hautschichten. „Nach Zangengeburten sehen wir sogar Abrisse in einer Größenordnung von 30 bis zu 65 Prozent“, erläutert der Urogynäkologe. Ähnlich verhält es sich mit feinen Einrissen der äußeren Schließmuskulatur amDarmausgang, die auch mit 15 bis 25 Prozent den Sonografiebefunden zufolge häufiger vorkommen, als sie im Kreissaal diagnostiziert werden.

Derartige Verletzungen in den wichtigen Teilen des Beckenbodenmuskels beeinträchtigen die Kontinenzfunktionen und die Festigkeit der Scheide erheblich, wie nicht nur Dietz in zahlreichen eigenen Studien nachweisen konnte. „Es steht die Forderungim Raum, dass auf jeder geburtshilflichen Abteilung gezielt nach Beckenbodentraumata gefahndet werden sollte, nicht nur im Kreissaal, sondernauch Wochen und Monate nach der Geburt. Aber das hieße, sich klar zu den Schäden zu bekennen, die durch ein Instrument wie die Zange hervorgerufenwerden, oder auch aus dem falschen Ehrgeiz heraus, möglichst viele Geburten auf natürlichem Wege abzuschließen“, kritisiert der Experte. Dabei gibt es jetzt schon Risikofaktoren, die zumindest Zweifel wecken, ob es die Schwangere schafft, ihr Kind ohne instrumentelle Hilfe herauszupressen. Dazu zählen Kinder, die über vier Kilogramm schwer sind und deren Kopf gegen Ende der Schwangerschaft noch sehr hoch sitzt, aber auch Frauen, die ihr erstes Kind im Alter von 35 Jahren oder darüber bekommen und deren Beckenboden weniger dehnbar erscheint.
Quellen:

Dietz HP, et al: Forceps: towards obsolescence or Revival? Acta Obstetricia et Gynecolica Skandinavica (AOGS) 2015;94(4):347-351 http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/aogs.12592/abstract

Volloyhaug I, et al: Pelvic organ prolapse and incontinence 15–23 years after first delivery: a cross-sectional study. BJOG (online) 16. Februar 2015  http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1471-0528.13322/abstract

Gyhagen M, et al: Clustering of Pelvic Floor Disorders 20 years after one vagina or one cesarean birth. International Urogynecological Journal  https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25708677