Nur eine Minderzahl von Hebammen und Ärzten ist in der Lage, den Dammschnitt (Episiotomie) im richtigen Winkel vorzunehmen. Diesen Schluss muss man leider ziehen, liest man die jetzt in einem Fachjournal für Uro-Gynäkologie (International Urogynecology Journal) veröffentlichten Ergebnisse einer britischen Studie: Lediglich 15 % der Studienteilnehmer schafften es, den Schnitt durch den Beckenboden an einem Modell innerhalb des vorgegebenen Winkels von 58 bis 62 Grad links oder rechts von der Mittellinie zu führen. Das ist der Bereich, der für einen Dammschnitt als am sichersten gilt. Das sind bemerkenswert viele Versager bei einer Prozedur, die zu den häufigsten chirurgischen Maßnahmen in der Geburtshilfe zählt.

Ein Wissenschaftlerteam der Croyden Universitätsklinik in London hatte die Fähigkeiten von insgesamt 106 Hebammen und Ärzten überprüft. Sie wurden gebeten, an einem Geburtsmodell jeweils von der Mittellinie ausgehend einen Schnitt im Winkel von 60 Grad auszuführen. Ob sie die linke oder rechte Seite wählten, blieb ihre eigene Entscheidung. Das Ergebnis ist nicht nur enttäuschend, es muss auch jene Schwangere erschüttern, die mit der Hoffnung ins Krankenhaus gehen, dass die Geburtshelfer eine so gängige Prozedur besser beherrschen. Denn das Unvermögen hat gravierende Folgen: Ein falscher Winkel ist ein Risikofaktor dafür, dass der Dammschnitt weiter zum Schließmuskel des Afters durch reißt und damit schwere Inkontinenz verursacht, das gilt für Harn- und Stuhlinkontinenz.

In der Studie verschätzten sich rund zwei Drittel der Teilnehmer sogar deutlich nach oben oder unten: Bei 44 % lag der Winkel unter 55 Grad, bei 18 % betrug er mehr als 66 Grad. Fasst man die Grenzen weiter (55 bis 65 Grad), so schafften es auch nur gerade 36 Prozent der Teilnehmer. Insgesamt traf damit nur jeder sechste unter den Getesteten den angestrebten, sicheren Bereich (15 % lagen zwischen 58 und 62 Grad).

Das Ärzte- und Forscherteam aus London schreibt, dass ein Dammschnitt mit erheblich mehr Blutverlust, signifikant größerer Schwächung der Beckenbodenmuskulatur, stärkeren Schmerzen beim Sexualverkehr (Dyspareunie) und auch deutlich mehr Beckenbodenschmerzen einhergeht, als wenn Frauen “nur” eingerissen sind und keinen Dammschnitt erhielten.

Der Dammschnitt zeigt, wie vieles von dem, was Schwangeren vor der Geburt als Selbstverständlichkeit erläutert wir, eigentlich ziemlich unklar ist und man so gar nicht wirklich weiß, was besser ist. Es heißt zwar, bei Problemen mache man einen Dammschnitt, dass aber die Ausführung so wenig standardisiert ist und auch zum Teil gar nicht klar ist, welcher Winkel der beste/sicherste ist, wird gar nicht erst erwähnt. Die Autoren schreiben, dass der Winkel nur visuell unter der Geburt abgeschätzt wird, wenn der Kindskopf heraustritt aus dem Geburtskanal. Man hatte schon länger festgestellt, dass ein ziemlicher Wildwuchs herrscht und es kaum “einheitliche” und konsistente Ergebnisse beim Schneiden gibt. Dass komme entweder daher, dass man die Forderung nach Einhaltung “sicherer” Winkel ignoriere oder es einfach nicht könne – man weiß nicht, was schlimmer ist, wenn es danach zu Inkontinenz kommt. Nicht umsonst weisen die Autoren auf die gravierenden Konsequenzen für die Frauen nach solch einer vaginalen Geburt hin: Die Behandlung einer Anal-/Stuhlinkontinenz infolge eines Geburtstraumas ist langfristig nur selten erfolgreich. Das gilt für konservative Maßnahmen (z.B. Beckenbodentraining) wie für chirurgische Eingriffe.

Es müsse vielmehr gelehrt und trainiert werden, wie man die anvisierten Winkel bei der Episiotomie treffe, um das Risiko für Komplikationen und tiefere Einrisse so gering wie möglich zu halten, so das Fazit der Studie. Außerdem müssten dringend weitere Studien her, die klären helfen, wie tief und wie weit geschnitten werden dürfe. Vor allem aber sollten Frauen vor einer Geburt darüber aufgeklärt werden, dass in Sachen Dammschnitt längst nicht alles so klar ist, wie man sich das wünscht. Diese Unsicherheit einzugehen, sollte dann die freie Entscheidung der Schwangeren sein – womöglich wählt sie dann den Kaiserschnitt. Verschweigt man ihr all dies, ist sie letztlich nicht ausreichend informiert, ihre Einwilligung zur vaginalen Geburt beruht auf unvollständiger Information und ist damit kein “informed consent”, keine “informierte Entscheidung”, wie sie als Voraussetzung für jede Maßnahme in der Medizin eigentlich gefordert wird.

Quellen:

Naidu M, et al: International Urogynecology Journal 2015;26(6):813-816  https://link.springer.com/article/10.1007/s00192-015-2625-9