Es gibt “reichlich” Belege dafür, dass die natürliche Geburt dem Beckenboden schadet. Das steht in einer aktuellen Veröffentlichung der Fachzeitschrift BJOG, einer renommierten britischen Fachzeitschrift für Geburtshilfe. Die Autoren, ein Team von Frauenärzten und Urologen, listen alle guten Studien auf, die in den letzten Jahren erschienen sind. Das Resultat: Eine natürliche Geburt geht klar und eindeutig mit einem höheren Risiko für Harn- und Stuhlinkontinenz und für Prolapserkrankungen, dem Vorfall von Beckenorganen aus der Scheide, einher. Warum sagen sie das so überdeutlich? Weil sie nach der Verletzung, also möglichst unmittelbar nach der Geburt, eine Stammzelltherapie an die “Frau” bringen wollen. Daran sieht man: Sobald es darum geht, eine neue Therapie in Stellung zu bringen, werden die Schäden durch eine natürliche Geburt schonungslos offen gelegt.

Die Auflistung von zahlreichen Studien von den Wissenschaftlern der Universität Löwen in Belgien liest sich ernüchternd. Beckenbodenschäden umfassen Inkontinenz für Urin, Winde und festen Stuhl und die Absenkung von Organen durch die Scheide oder Scheidenwand. Die Harnblase kann sich in die Seitenwand der Scheide vorwölben, die Gebärmutter kann durch die Scheide nach unten regelrecht herausfallen. Die vaginale, natürliche Geburt sei der “führende Risikofaktor” für solche Formen der Beckenbodenschäden. Verletzungen des Darmschließmuskels werden im Ultraschall in knapp 25 Prozent der Frauen nach einer natürlichen Entbindung gesehen. Wenn man Muskeln schon auf die Hälfte ihrer Länge dehnt, erleiden sie einen Funktionsverlust. Bei der Geburt wird der tragende Beckenbodenmuskel auf das Doppelte seiner Länge gedehnt. Dieser Muskel weist bei einem Drittel der Mütter nach der Geburt Schäden auf. Auch wenn die Schäden sich nicht gleich bemerkbar machen, letztlich kommt es bei der Hälfte aller Frauen nach einer natürlichen Geburt früher oder später zu Anzeichen von Beckenbodenschäden. Das sei, so schreiben die Autoren, inzwischen in zahlreichen Studien verlässlich nachgewiesen. Das hat Folgen jenseits der Beschwerden im Genital- und Kontinenzbereich. Die Frauen werden eher depressiv, behebt man den Prolaps, dann bessert sich die Stimmung, was für einen echten Zusammenhang zum Beispiel zwischen Prolaps und emotionaler Befindlichkeit spricht.

Während die Wissenschaftler und Ärzte aus Löwen den Kaiserschnitt nicht in jedem Fall als die Lösung ansehen, favorisieren sie die Stammzelltherapie. Diese steckt jedoch noch in der experimentellen Phase, außerdem sind mit Stammzellen erhebliche Risiken verbunden, ob sie helfen, ist noch ungewiss. Sie räumen aber in Übereinstimmung mit der UR-CHOICE Initiative ein, dass es womöglich Risikopatientinnen gibt, die von einem elektiven Kaiserschnitt profitieren, weil sonst die Schäden für den Beckenboden zu dramatisch werden könnten. Nicht unwichtig für eine individuelle Entscheidung dürfte sein, dass hier auch Verfahren wie der Epi-No-Trainer, der angeblich Beckenbodenschäden vermeiden helfen soll, als klar unwirksam eingestuft werden.

Immer öfter gibt es wissenschaftliche Artikel, die die vaginale Geburt durch eine weniger rosige Brille sehen als bisher und den Mahnern vor möglichen Risiken Recht geben. Denn je mehr Bemühungen es gibt, zu therapieren, desto mehr werden – endlich – muss man sagen, die Gefahren offen und ehrlich angesprochen. Das ist zumindest insofern eine gute Nachricht, als sich Mütter im Vorfeld der Geburt besser informieren können und danach ihre Entscheidung treffen können.

Quellen:

Gallewaert G, et al: The Impact of vaginal delivery on pelvic floor function – delivery as a time Point for secondary prevention. BJOG 2016;123:678-681
https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/1471-0528.13505