Kann man unter der Geburt verlässlich überwachen, wie es dem Baby geht? Nicht wirklich, denn oft ist das CTG, das Cardiotokogramm, nicht eindeutig. Es gibt die Herztöne und die Schnelligkeit wieder, mit der das Herz des Ungeborenen schlägt. Aber weicht das CTG von der Norm ab, ist es also pathologisch, weiß niemand wirklich, ob es dem Kind schlecht geht. Hier soll die so genannte Mikroblutanalyse oder Fetalblutanalyse (fetal scalp blood sampling oder FBS) helfen: Mittels Stich in die Kopfhaut gewinnt man Blut des Babys, analysiert dies und erhofft sich davon Rückschlüsse über den Gesundheitszustand des Kindes. Diese beiden Maßnahmen – CTG und Mikroblutanalyse – seien “der Goldstandard”, wenn es unter der Geburt um die Überwachung des Kindes gehe, heißt es in einer deutschen Veröffentlichung zum Thema. Aber: Der Wert dieses Verfahrens wird inzwischen immer mehr angezweifelt. In einer englischen Fachzeitschrift fordert Edwin Chandraharan, ein Experte in Sachen Geburtshilfe von der St. George’s Universitätsklinik in London, die Abschaffung der Mikroblutanalyse, denn sie berge mehr Risiken, als sie nütze.

Wenn laut CTG das Kind in Gefahr sein könnte, dann stehen die Mutter und ihr Partner mit den Geburtshelfern vor der Frage: Sollte man das Kind per Kaiserschnitt holen oder zuwarten. Die Blutanalyse soll eine Entscheidungshilfe sein. Dazu wird der Kopf des Kindes “freigelegt”, das heißt, der Arzt sucht, während die Mutter schon Wehen hat und die Situation sehr angespannt ist, unter dem Amnioskop oder mit Hilfe von Spekula (Metallinstrumenten, die die Scheide aufhalten, also in höchst umständlicher Form) nach der Kopfhaut des Kindes. Diese wird dann mit Stickstoff unempfindlich gemacht, dann ritzt er sie mit einem Skalpell ein, das Blut dient der Analyse. Aber es vermischt sich mit allem, was in und um den Geburtsweg an Flüssigkeit vielleicht noch vorhanden ist: Fruchtwasser, vielleicht auch Urin, Schweiß, etc. Eine genaue Analyse des Blut-pH-Wertes (der Rückschlüsse auf die Situation des Kindes zulässt) erlaube das deshalb nicht, argumentiert Chandraharan.

Die Maßnahme würde die Zahl der operativen Eingriffe nicht verringern, die Vorteile für das Kind – ein besseres Geburtsergebnis, weniger Gesundheitsschäden – seien statistisch nicht nachweisbar. Aber es gäbe Risiken wie Blutungen, Infektionen, ein Abszess am Kopf, sogar aus den so genannten Liquorräumen des Gehirns könnte Flüssigkeit austreten. Unerkannte Blutungen können auch nach innen erfolgen, diese Hämatome oder Blutergüsse drücken dann auf das junge Gehirn und können ebenfalls Schäden verursachen.

Sein Kontrahent in der Debatte, der Däne Jan Steiner Horgensen von der Universitätsklinik in Odense, sieht sehr wohl Vorteile gegeben, kann aber keine Arbeit nennen, die diese im Hinblick auf die Verringerung operativer Eingriffe zahlenmäßig belegen. Er argumentiert nur, dass die Risiken der bisherigen Erfahrung nach gering seien.

Offizielle Statistiken, wie oft die Mikroblutanalyse etwa in Deutschland gemacht wird, gibt es nicht. Einer Auswertung der Hessischen Perinatalerhebung zufolge, wird sie bei etwa jedem fünften Kind gemacht, wenn es ein pathologisches CTG hat oder die Herztöne beim Abhören schlecht sind. Die Autoren schreiben aber, dass sich das Verfahren in der Routine nicht durchsetzt. Sie führen das auf die “Beeinträchtigung der Patientin” und die “Umständlichkeit” des Verfahrens zurück, was wohl dem Problem Rechnung trägt, dass es eine nicht eben angenehme Untersuchung ist, die Scheide gedehnt wird mit kalten Metalllöffeln, auch wenn Wehen kommen, um das Blut zu gewinnen. Außerdem ist es invasiv, man ritzt die Haut des Kindes ein, dadurch können Bakterien in die Blutbahn gelangen. Und schließlich benötigt der Untersucher Übung, um nichts falsch zu machen, es “zeigen sich deutliche Unterschiede” in der Fetalblutanalyse, heißt es weiter. Daher sollte die Schwangere, wenn ihr das angetragen wird, auf einem erfahrenen Geburtshelfer bestehen. Am besten spricht man dieses Problem schon in der Sprechstunde im Geburtsvorbereitungsgespräch an, damit dies gewährleistet ist.

Man kann die Mikroblutanalyse auch verweigern, wenn nicht sicher gestellt ist, dass ein ganz erfahrener Geburtshelfer dies macht. Und man sollte sich darüber im klaren sein, dass so eine Situation unter der Geburt entstehen kann, selbst Hebammen geben zu, dass das CTG oft falsche Informationen liefert. Wenn man das weiß und einen Plan hat, ist es viel leichter, dann eher einem Kaiserschnitt zuzustimmen, als auf Biegen und Brechen den zu verweigern und sich auf eine unsichere und nicht wirklich hilfreiche weitere Methode einzulassen, um zu ergründen, wie es dem Baby geht.

Quellen:

1. Chandraharan E: Fetal scalp blood sampling should be abandoned. FOR: FBS does not fulfil principle of first do no harm. BJOG 2016;123: 1770 http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1471-0528.13980/full

2. Jorgensen JS: Fetal scalp blood sampling should be abandoned. AGAINST: Fetal scalp blood sampling in conjunction with electronic fetal monitoring reduces the risk of unnecessary operative delivery. BJOG 2016; 123:1771 http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1471-0528.13982/full

3. Reif P, et al.: Reduktion der operativen Entbindungsrate durch den Einsatz von Mikroblutuntersuchungen bei auffälligem CTG unter Berücksichtigung des Gestationsalters. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2011; 215(05): 194-198 https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0031-1287861

4. Schmidt S, et al.: Optimiert die Fetalblutanalyse die Qualität der geburtshilflichen Versorgung? Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(4): 368-373 https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2005-837594?lang=de