Wenn man die moderne Kritik an den “viel zu vielen Kaiserschnitten” betrachtet, dann kommt es einem so vor, als sei früher alles besser gewesen. Oft verweisen diejenigen, die sich wieder mehr natürliche Geburten und weniger Kaiserschnitte wünschen, darauf, dass früher die Kaiserschnittraten deutlich geringer waren. Der moderne “Boom” gilt als übertrieben, als Ausweis einer schlimmen Medikalisierung. Damit man die eigene Zeit richtig bewertet, ist es manchmal jedoch hilfreich, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Was sich zeigt, macht nicht gerade Lust darauf, sich die die vorgeblich “guten” alten Zeiten zurückzuwünschen. Da findet sich zum Beispiel in Unterrichtsbüchern für Hebammen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts eine geradezu gruselige Lehrmeinung: Erst wenn ein Kind bei der Geburt starb, ist bewiesen, dass die Geburtswege wirklich zu eng sind, dass die Mutter tatsächlich die Geburt nicht schafft. Nur dann soll der Kaiserschnitt bei der zweiten Geburt erlaubt sein.

Mitte des letzten Jahrhunderts – so um 1950 – das ist noch nicht sehr lange her. Und doch galt damals ein Regimen, eine Vorgehensweise, die uns heute brutal vorkommt. Nicht die Möglichkeit, dass unter der Geburt eine Katastrophe passieren könnte, nicht eine drohende Gefahr für Mutter und Kind galt als ausreichend, um beide mit einem Kaiserschnitt zu retten. Nein, erst musste ein totes Baby zweifelsfrei belegen, dass diese Mutter nicht gebärfähig ist.

Die skandinavische Geburtshilfe gilt als vorbildlich, waren doch dort sehr früh Hebammen gut und seit längerem auch akademisch ausgebildet. Daher dürfen wir vermuten, dass es sich bei den Ergebnissen einer medizinhistorischen Studie eines schwedischen Teams von Forschern aus dem Karolinska Institut in Stockholm nicht um eine besonders archaische, mitleidlose oder rückständige Praxis handelt. Die Wissenschaftler haben Lehrbücher für Hebammen und angehende Frauenärzte untersucht, um herauszufinden, wie sich die Einstellungen zum Kaiserschnitt geändert haben.

Dabei zeigte sich, dass die Indikationen, die medizinischen Begründungen, einen Kaiserschnitt vorzunehmen, zugenommen haben – so wie auch die Zahl der Kaiserschnitte selbst. Aber das ist, wenn man liest, was damals den Frauen zugemutet wurde, eher eine positive Entwicklung, die man nicht genug begrüßen kann. Denn nicht nur galt die erste Geburt als “sample confinement”, als “Probegeburt” oder “Test”, um die Notwendigkeit eines Kaiserschnittes für die zweite Geburt zweifelsfrei zu bestätigen. In dem gleichen Buch aus dem Jahr 1955 heißt es überdies, Geburtshelfer und Hebammen sollten einen Kaiserschnitt nicht aus “falschem Mitleid” mit der Mutter beschließen. Auch durch die eigene Erschöpfung, durch die Gebärende selbst oder jene, die für die arme Frau bitten würden, solle man sich nicht dazu hinreißen lassen. Harte Zeiten für jene Frauen, denen ihre Veranlagung und ein gütige Schicksal nicht die Gnade einer leichten Geburt gewährten.

Jüngere Lehrbücher – also die aus den Jahrzehnten nach 1955 – enthielten dann keine Hinweise mehr auf die “Test – oder Probegeburten” und auch keine Beschreibungen mehr, wie man ein Kind zerstückelt oder den Kopf abschneidet, um das tote Ungeborene herauszuholen, heißt es in dem Artikel, der in einer Fachzeitschrift unlängst veröffentlicht wurde.

Wann immer also der Ruf nach weniger Medikalisierung in der Geburthilfe ertönt und die aktuellen Kaiserschnittraten wieder einmal dazu dienen, mahnend deren Eindämmung zu verlangen, sollte man sich solche Zeiten und Umstände vor Augen halten. Es waren eben keine rosigen Zeiten für die Frauen im Kreißsaal, es sei denn, man setzt sich eine rosarote Brille auf und schwärmt von einer Idylle, die es nie gab. Geburten sind mit Risiken verbunden. Wer sich mehr natürliche Geburten um jeden Preis wünscht, sollte das bedenken. Nur weil der Kaiserschnitt so viel sicherer wurde und die Einstellungen sich geändert haben, haben wir diese hohen Raten und können sie auch vertreten. Dass die heutige, gewandelte Einstellung ihr Gutes hat, sieht man an solchen Arbeiten. Sie zeigen, dass in früheren Zeiten vor allem die Mütter und die Kinder mit zum Teil massiven Gesundheitsschäden und ihrem Leben für eine Geburtshilfe bezahlten, die in Teilen offenbar sehr mitleidlos agieren konnte. Keine Spur von der guten alten Zeit.

Quellen:

Sahlin M, et al.:Mode of delivery among Swedish midwives and obstetricians and their attitudes towards caesarean section. Sexual & Reproductive Healthcare. 2017;11:112–116. http://www.srhcjournal.org/article/S1877-5756(16)30004-0/fulltext