In der Tageszeitung “Die Welt” erschien Anfang Januar 2018 ein bemerkenswerter Artikel. Er trug den Titel: “Ich fühlte mich wie ein Vieh auf der Schlachtbank” und beschreibt am Beispiel von vier Frauen, wie Schwangere unter der Geburt leiden. Bemerkenswert daran ist die Offenheit, mit der endlich einer überregionalen Öffentlichkeit vor Augen geführt wird, wie traumatisch eine Geburt verlaufen kann.
Es ist nicht von ungefähr, dass der Artikel mit Verletzungen des Beckenbodens einer der Frauen beginnt: “Wir nähen ihre Frau ein bisschen enger, damit Sie auch was davon haben”, sagt eine Hebamme zu dem Partner der Frau, die gerade geboren hat.
Das ist übergriffig, denn es tangiert zutiefst die Intimsphäre des Paares. Das zeigt aber vor allem, mit welcher Schnodderigkeit Verletzungen im Bereich der Genitalzone, der Harnwege, des Beckens und des Darmes abgetan werden. Und dass man denkt, mit ein paar Nähten sei das alles zu beheben. Augenwischerei ist das. Denn nicht nur die Naht kann nach der Vernarbung Schmerzen, auch wenn nicht genäht wird, wachsen Risse nicht immer so zusammen, dass es für die Frau ohne Folgen bleibt.
Frauen wollen die Gewalt, die sie gefühlt während ihrer Geburt erlebt haben, nun offen zum Thema machen und die Kliniken, wo dies geschah, an den Pranger stellen. Die Initiative “Gerechte Geburt” brandmarkte 2017 insgesamt 174 Geburtskliniken, das ist jede vierte in Deutschland, so heißt es in der Welt.
Des weiteren zeigt der Text, wie fahrlässig man bei einer anderen Frau Warnhinweise übergangen hat, etwa erhöhte Entzündungswerte. Die Geburt war ein Drama, nicht zuletzt durch Anwendung des so genannten “Kristeller-Handgriffes”. Dieser Ausdruck verdeutlicht nicht im mindesten die brachiale Gewalt, mit der das Kristellern oft vorgenommen wird, manchmal werfen sich die Geburtshelfer, Hebamme oder Arzt, mit der ganzen Wucht ihres Körpers so gegen den Bauch der Schwangeren, um das Kind mit Gewalt herauszudrücken, dass es zu Verletzungen von Kind und Mutter kommt. Im beschriebenen Beispiel musste die Frau denn auch notoperiert werden, weil das Kristellern alles verschlimmert hat.
Schade, dass als Erklärung für diese Missstände nur auf die Überlastung von Hebammen und Klinikpersonal geboten wird. Tatsächlich sind Geburten risikobehaftet, tatsächlich kommt es oft zum Geburtsstillstand, tatsächlich werden viele Frauen verletzt, tatsächlich verlaufen die wenigsten Geburten so, wie es Schwangeren gern im Geburtsvorbereitungskurs suggeriert wird. Aus der Forschung über Aufklärung von Patienten ist bekannt, dass sie umso besser den Stress einer Operation wegstecken, dass sie umso weniger Komplikationen erleiden, je besser und umfassender sie über die Risiken eines Eingriffs oder einer Behandlung aufgeklärt sind. Das soll nicht für werdende Mütter und ihre Partner gelten? Sehr oft kommt das Argument, man dürfe Schwangeren keine Angst machen, da sie sonst verkrampften und die Geburt erst recht schwierig verliefe. Wir kennen keine Studie, die dies untersucht hätte. Die Angst besteht, dann könnten sich viele Schwangere – angesichts ihrer individuellen Risiken – für einen Kaiserschnitt entscheiden. Aber es wäre nur fair, zu untersuchen, ob dieses Argument wirklich stimmt, ob richtig aufgeklärte Schwangere schwierigere Geburten haben oder ob sie vielmehr gefasster sind. Ob sie sich wirklich öfter für einen Kaiserschnitt entscheiden und wenn ja, wie sie das erleben. Und schließlich müsste man untersuchen, welche Gruppe am Ende langfristig gesünder, gefasster, zufriedener mit der eigenen Entscheidung ist. In der Medizin nennt man das ansonsten “informed consent” und das gilt als Errungenschaft einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Therapeuten und Patienten. Nur Geburtshelfer und Hebammen wollen sich dem ganz offenbar nicht stellen.