Es klingt toll, wenn ein Chefarzt an die Kraft der Schwangeren appeliert: Chefarzt Prof. Dr. med. Michael Abou-Dakn tut im Blog der Firma Medela im April 2018 kund, weshalb er sich wünscht, dass Schwangere wieder mehr ihrem Bauch vertrauen. “Früher wurde die Schwangerschaft ja als Zeit der guten Hoffnung bezeichnet. Man schaute positiv auf das Mysterium, das da im Bauch heranwuchs. Seitdem wir das Kind quasi als Patient mitentdeckt haben, sind viele Frauen auch verunsichert. Es würde mich sehr freuen, wenn Frauen wieder mehr ihrem Bauch vertrauen. Deshalb sage ich immer: Nutzt die Zeit der guten Hoffnung und macht euch keine Sorgen!” Aber wenn er dann auf Station ist, dann macht er doch zur Sicherheit lieber Ultraschall. Das entnehmen wir einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aus seiner Klinik. Am besten so nah wie möglich am Geburtstermin, damit man sich auch nicht verschätzt. Also soll das Mysterium doch besser kein Mysterium bleiben, sondern lieber aufgedeckt und vermessen werden, je exakter, desto besser.

Die Firma Medela verkauft Technik rund um die Geburt, zum Beispiel Saugglocken. Weniger Technik kann sie sich gar nicht wünschen, eher mehr, dann macht sie mehr Umsatz. Also klingt es ein wenig seltsam, wenn auf solch einem Blog dazu aufgefordert wird, nur dem Bauch zu vertrauen. Aber es klingt eben positiv. Vermutlich möchte man die Frauen auch nicht damit verunsichern, dass man möglichst nah an der Geburt noch einen Ultraschall benötigt, wenn man das Geburtsgewicht richtig bestimmen will. Das schreibt oder verkündet Professor Abou-Dakn dann eben doch für Ärzte.

In einer Studie aus seiner Geburtsabteilung am St. Joseph Krankenhaus in Berlin wurde geprüft, wie gut man mittels Ultraschall bei 575 diabeteskranken Schwangeren abschätzen kann, wie schwer das Kind sein wird – im Mittel etwa 5 Tage vor der Geburt. Das ist wichtig (sollte also kein Mysterium bleiben), weil diese Mütter oft sehr schwere Kinder haben und dadurch das Kind oft stecken bleibt während der Geburt (Schulterdystokie). Bei rund 60 % der Untersuchten wurde das Geburtsgewicht mit einer Abweichung von 10% nach oben oder unten korrekt vorhergesagt. Was auch nur heißt, dass ein Kind mit geschätzten 4000g auch 4400g wiegen kann. Aber bei mehr als einem Fünftel der Frauen (22,2%) wurde das Gewicht unterschätzt um 10-20%, was heißt, dass zum Beispiel ein Kind mit 5000g fälschlich auf nur 4000g geschätzt wurde. Und: je höher das Gewicht des Kindes, desto öfter wurde es falsch eingeschätzt, bei über 4000g hatten sich die Untersucher bei mehr als der Hälfte der Frauen vertan. Fazit: Sie fordern einen Ultraschall noch näher am Geburtstermin, um die Fehlerquote zu senken.

Was nehmen wir daraus mit: Große, schwere Kinder bergen für den Geburtsvorgang ein höheres Risiko, man sollte also gerade bei Frauen, deren Kinder vermutlich mehr wiegen, genau wissen, was auf die werdende Mutter zukommt, um sie entsprechend beraten zu können. Selbst mit Ultraschall liegen die Geburtshelfer und Hebammen oft falsch. Aber, und das ist das zweite Fazit: Ohne Technik und Ultraschall geht es nicht, will man einigermaßen orientiert sein, über das was kommt. Das will man auch am St. Joseph Krankenhaus in Berlin, der Klinik, wo deutschlandweit pro Jahr die meisten Kinder zur Welt kommen, mehr als 4000. Wenn also auch dort auf den Ultraschall vertraut wird, wenn man auch dort, statt das Mysterium zu belassen, es lieber noch genauer wissen will, dann sollte man das auch sagen und nicht fälschlich den Wunsch nähren, es könnte alles wie “früher” ablaufen. Das kreiert eine falsche Vorstellung von Geburten, als wäre ohne jede Technik, wenn die Mutter nur genug dem Bauchgefühl vertraut, alles besser. Eine Geburtshilfe sollte sich auch zu den Gefahren bekennen und sagen: Wir brauchen vor der Geburt möglichst korrekte Informationen, die erhält man nicht per Gefühl, sondern mittels Messung.

Meiner Ansicht nach zeigt dieses Beispiel einmal mehr, dass man in der Geburtshilfe häufig verbal gern tut, als könnte alles so einfach sein, in dem Wissen, dass es doch nicht so ist.

Am Schluss möchte ich noch auf eine kleine (aber wichtige) Auslassung hinweisen, die mir aufgefallen ist: Herr Abou-Dakn spricht davon, dass die Geburtsmediziner das Kind als Patienten entdeckt haben, aber er erwähnt nicht die Mutter, die auch oft als Patientin aus der Geburt hervorgeht. Es ist wichtig, dass Chefärzte so großer Geburtskliniken die Mütter und ihre Verletzungen in den Blick nehmen und bei der Geburtsvorbereitung auch gerüstet sind, möglichen Schaden von der Mutter abzuwenden.

Quellen:

Blog auf der Webseite des Herstellers von Geburtstechnik und Zubehör Medela: https://medela-blog.de/was-die-geburtshilfe-in-deutschland-braucht/

Goerlich F, Weiss C, … Abou-Dakn M, et al.: Unterschätzung des Geburtsgewichtes bei diabetischen Schwangeren durch Gewichtsschätzung per Ultraschall in Terminnähe. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2013:217 – V15-6.