Wer wissen will, welche körperlichen Schäden die Geburt an einem Frauenkörper hinterlassen kann, der muss in Länder schauen, in denen Frauen keinen Zugang zu moderner Geburtshilfe haben: Weltweit leben 2 Millionen Frauen mit Fisteln, bis zu 100.000 kommen jährlich neu dazu, nur rund 15.000 werden operativ behandelt. Geht es mit der Geburt nicht vorwärts, dann kommt es zu Einrissen im Gewebe, die zu ganz unnatürlichen Verbindungen innerhalb der Beckenorgane führen. Es entstehen Fisteln als Verbindungen zwischen dem Darm und der Scheide oder der Harnblase und der Scheide, so dass Stuhl oder Urin aus der Scheide herausläuft, in 15 Prozent der Fälle auch beides.
Diese entstellenden und stigmatisierenden Defekte kommen hauptsächlich in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommensstandard vor, sprich: Dort, wo der Lebensstandard gering und die medizinische Versorgung schlecht ist, trifft es die Frauen am ehesten. Man geht beispielsweise davon aus, dass 1,1 Prozent aller Frauen in Äthiopien in ihrem Leben mit Fisteln durch Geburten rechnen müssen, nur ein Drittel von ihnen wird überhaupt je behandelt.
Hauptrisikofaktor ist der Geburtsstillstand, die Frau liegt dann häufig mehrere Tage in den Wehen. Der Kopf des Kindes drückt dann permanent auf das mütterliche Gewebe des Beckenbodens. So wird dieses nicht mehr genügend durchblutet und geht zugrunde – so bildet sich eine Fistel. In mehr als 90 Prozent aller Fälle überlebt zudem das Kind eine solche Geburt nicht.
Die Verbindungen innerhalb der Beckenorgane führen nicht nur dazu, dass infolge des unkontrollierten Stuhl- und Urinverlustes die Frauen sich wegen der dauerhaften Inkontinenz praktisch nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen. Es entstehen auch Entzündungen, weil die Vagina nicht für die Ausscheidungen gemacht ist. Hinzu kommen Verwachsungen, die zu Schmerzen führen, die die Scheide oder die Harnröhre verlegen können, der Harn staut sich in die Niere zurück, Geschlechtsverkehr ist gar nicht mehr möglich oder nur unter Schmerzen. Der Geburtsstillstand kann sogar vorne den Beckenring sprengen und zu gravierenden Knochenentzündungen führen. Die Frauen werden verlassen, was viele ins soziale Abseits und Elend stürzt, nur die wenigsten können danach noch Kinder empfangen, es verwundert nicht, dass die Suizidrate unter diesen Opfern einer unglücklichen Geburt deutlich erhöht ist. Die Frauen leben in “Scham und Einsamkeit”, wie eine Fachzeitschrift titelte.
Die Behandlung ist schwierig, nur die Minderzahl heilt ohne Operation, die wiederum für die wenigsten zur Verfügung steht. Ob es nach einem Geburtsstillstand die Entstehung von Fisteln verhindert, wenn man den Frauen einen Blasenkatheter legt – ein Röhrchen in der Harnröhre, das den Ablauf des Urins ermöglicht – lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
In Ländern mit moderner Geburtshilfe, in denen bei einer Geburt, die nicht mehr vorwärts geht, ein Kaiserschnitt vorgenommen werden kann, gibt es praktisch keine Fisteln mehr, schon seit vielen Jahrzehnten.
Quellen:
- Letchworth P, et al.: Obstetric Fistula: a pardigm shift is needed in Research and prevention. BJOG (online) 30. Januar 2018 https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/1471-0528.15110
- Meyer P: Fisteln in der Gynäkologie: Leben in Scham und Einsamkeit. Dtsch Arztebl 2008; 105(14): A-735 / B-642 / C-630