Im Rahmen einer Recherche für einen Vortrag über Blasenschwäche nach natürlichen Geburten bin ich auf die schon ältere Nachricht gestoßen, Kate Winslet habe in einer Talkshow eingestanden, nach den Geburten ihrer drei Kinder harninkontinent zu sein. Sie werde dafür gefeiert, man müsse sie für dieses Eingeständnis lieben, hieß es in Artikeln zu dieser Meldung. Denn so trauten sich viele Frauen, endlich mal darüber zu reden. Darüber zu reden, dass man inkontinent ist – soll das schon genügen? Sollten Frauen nicht vielmehr auch darüber reden, warum sie inkontinent geworden sind und wie man es vielleicht hätte verhindern können? Als wäre es damit getan, die Inkontinenz einzugestehen. Bei Kate Winslet heißt es gar “Beichte”. Eigentlich sollten Frauen doch anstreben dürfen, gar nicht erst inkontinent zu werden. Wie wäre es, wenn Hebammen “beichten”, dass sie die Inkontinenz einer Frau bei einer natürlichen Geburt nicht verhindert haben, weil der Dammschutz nicht richtig ausgeführt, der Dammschnitt nicht gut gemacht war, der Einsatz der Saugglocke notwendig wurde, weil sie der Frau nicht erklärten, dass sie mit ihrem sehr schweren Kind kaum eine Chance haben würde, nicht inkontinent zu werden und der Frau so die Chance auf eine andere Art der Geburt verwehrt blieb?Unlängst hörte ich einen Vortrag von einem Geburtshelfer, der zwar “die Zahlen” anerkannte. Zahlen die belegen, dass Inkontinenz nach einer natürlichen Geburt ein häufiges Risiko darstellt. Betroffen sind am ehesten ältere Schwangere, solche, die ein schweres Baby zur Welt bringen müssen und diejenigen, bei denen die Geburt nicht ohne Saugglocke oder Zange funktioniert hätte. Es gibt noch etliche andere Risikofaktoren, genetische Vorbelastung (wenn schon die Mutter inkontinent wurde), Übergewicht, ein langer Geburtsprozess und auch eine zu rasche Geburt mit forcierten Wehen. Die “Zahlen” und “Risikofaktoren” stimmen also, das wollte der Geburtshelfer durchaus zugeben. Allerdings wollte er bezweifeln, dass dies wirklich eine Belastung sei für “frau”. Die meisten litten nicht wirklich darunter, so der beruhigende Hinweis. Tatsächlich. Vordergründig scheint auch ein Artikel über Kate Winslets Inkontinenz es so zu deuten: “Inkontinent – na und?: Warum wir Kate Winslet für diese Beichte noch mehr lieben” heißt es auf Brigitte Mom. Das sei ganz und gar nicht peinlich. “Nein, tausende Mütter im Netz sind sich einig: Das war verdammt cool. Denn es zeigt so vielen Frauen, die mit ihrem Körper nach der Geburt hadern, dass auch glamouröse, sexy Superfrauen mit diesen Problemen zu kämpfen haben.” So schreibt es die Autorin Michèle Rothenberg. Echt jetzt? Sollen Frauen ihre eigene Scham weniger schlimm empfinden, weil eine Schauspielerin auch inkontinent ist? Das klingt ja wie Hohn, wenn wissenschaftliche Studien dagegen zeigen, wie viel es den Frauen ausmacht, den jungen wie den alten. Wie sehr Inkontinenz dazu führt, dass man sich zurückzieht, aus der Öffentlichkeit, aus dem Freundeskreis, von Reisen, von Veranstaltungen …. . Soll das also alles nur “Pipifax” sein? Es ist nicht ein Thema zum Witze machen, aber es ist ein Thema, um sich zu erregen. Mit solchen Artikeln wird, unter Verweis auf Berühmtheiten, einmal mehr jenen Recht gegeben, die sich um Beckenbodenschutz bei der Geburt nicht kümmern wollen, weil: “Es macht den Frauen ja nicht wirklich viel aus”.

Es gibt Gott sei Dank auch ganz ehrliche Beiträge im Netz. Etwa den auf der Online Zeitschrift Emotion. “Demütigend” nennt es dort eine Betroffene, deren Namen die Redaktion nicht nennt. Stets das Gefühl zu haben, nicht gut zu riechen, unsexy zu sein, sich wie eine alte Frau zu fühlen, wenn man den Vorlagenmüll entsorgt. Damit fertig zu werden, dass der Beruf vielleicht nicht mehr ausgeübt werden kann, ständig zu verdrängen, woran man doch Tag für Tag erinnert wird. Es ist eine Schande, dass heutzutage zwar Urogynäkologen, also jene Mediziner, die eine Inkontinenz behandeln, immer noch ein großes Tabu beklagen und bedauern dürfen, dass die Frauen auch aus der Scham heraus oft zu wenig Hilfe bekommen. Dass aber andererseits jene, die mit der Entstehung von Inkontinenz so viel zu tun haben, Geburtshelfer nämlich, immer noch öffentlich sagen dürfen: “Ist alles nicht so schlimm.”

Quelle:

  1. Welt online: https://www.welt.de/vermischtes/article180819808/Beyonce-Kate-Winslet-Warum-die-Geburtsgestaendnisse-der-Stars-allen-Frauen-helfen.html
  2. https://www.brigitte.de/familie/mitfuehlen/inkontinent—na-und—warum-wir-kate-winslet-fuer-diese-beichte-noch-mehr-lieben-10137958.html
  3. https://www.emotion.de/leben-arbeit/gesellschaft/inkontinenz-nach-der-geburt-erfahrungen