Geht es um Beckenbodenschäden nach einer natürlichen Geburt, so sind es nicht nur die sofort geschädigten Frauen, die Grund zur Sorge haben. Diese können zwar meist ihre Beschwerden – Urininkontinenz, Prolaps oder Stuhlinkontinenz – unmittelbar mit den Vorgängen während einer natürlichen Geburt in Verbindung bringen. Allerdings macht sich ein Geburtsschaden mitunter erst im Alter von 50+ Jahren bemerkbar. Weil das immer noch früh ist, denn auch Fünfzigjährige wollen nicht mit Windeln oder Pessaren oder Tampons oder Netzimplantaten herumlaufen, machen sich Ärzte immer öfter Gedanken, wie der Verlauf der Schäden nach der Geburt zu bewerten ist. Sprich: Sie fragen sich, welche Frauen dringender als andere nach einer Geburt Hilfe, Therapie, Unterstützung oder Beratung benötigen, um späteren Insuffizienzen des Beckenbodens vorzubeugen. Wie immer staunt man, dass wir auf der einen Seite wissenschaftliche Veröffentlichungen finden, die ganz eindeutige Sätze beinhalten wie diesen hier: “Vaginal birth is one of the strongest risk factors for pelvic Floor disorders”…., und dass auf der anderen Seite immer noch keine Standards existieren, um Frauen vor ihrer Geburt darüber aufzuklären. Wer also sollte nach einer Geburt ganz besonders auf den Beckenboden achten. Die Antwort gibt eine Publikation aus einem der profiliertesten Zentren der Frauenklinik der University von Michigan in Ann Arbor aus der Arbeitsgruppe um John O. Delancey.
Die US-Forscher um Delancey haben sich gefragt: Welche Frau erholt sich gut, welche weniger gut, was gibt es nach einer Geburt für Kriterien, um eine Prognose für das weitere Leben abzugeben? Sie betonen zunächst, dass viele Beckenbodenschäden, die während des Geburtsvorganges erworben werden, sich erst später im Leben bemerkbar machen. Um Risikofaktoren zu charakterisieren nehmen sie sich eine Gruppe von Frauen vor, die besonders gefährdet sind, beispielsweise einen Abriss des wichtigsten Beckenbodenmuskels zu erleiden, des Levator ani. Zu diesen gefährdeten Frauen (n = 79) zählen jene
- nach einer Zangengeburt
- nach einer Saugglockengeburt
- nach mehr als 150 Minuten aktiven Pressens
- nach Dammschnitt (Episiotomie)
- nach Verletzung des Darmschließmuskels (Analsphinkterläsion)
Damit verglichen wurde eine Gruppe von Frauen nach Kaiserschnitt (n = 29). Nach einer Risikogeburt war der so genannte Genitale Hiatus (Abstand von hinterem Endpunkt der Scheide unten am Damm bis zum Anus) deutlich größer – was ein Maß für einen schwächeren Beckenboden und einer größeren Gefahr für Prolaps/Senkungsbeschwerden bei Gebärmuttervorfall darstellt. Außerdem war die muskuläre Kraft verringert. Die Kraft kehrte zwar nach 6 Monaten wieder zurück, die Hiatuslänge verringerte sich auch mit der Zeit, allerdings wurde diese nie wieder so gut oder positiv im Sinne der Haltefunktion wie zuvor. Außerdem war bei den Risikofrauen die vordere und hintere Scheidenwand im Vergleich zu den Frauen nach Kaiserschnitt nach unten gesackt.
Geringere Kraft und ein Verlust der Stützfunktion der hinteren Scheidenwand waren mit einem Abriss des Levatormuskels starke Hinweise auf Verletzungen des Beckenbodens. Diese seien, so schrieben die Autoren, sehr einfach nach der Geburt zu bestimmen. Besonders ein Levatorabriss, auch nur ein Teilabriss, ist ein starker Indikator dafür, dass die Frau später einen Prolaps, ein Vorfall oder Absacken der Gebärmutter (oder auch der Blase oder des Darmes) zur fürchten hat.
Bestimmten die Forscher nach diesen Gesichtspunkten (Levatorriss, Muskelkraft, Stand der hinteren Scheidenwand) die Frauen als “Beckenboden-geschädigt”, so waren bis zum Zeitpunkt von 6 Wochen fast die Hälfte (46,4 %) derart geschädigt. Nach 6 Monaten waren es immerhin noch fast ein Drittel (29,6 %).Daraus lässt sich schlussfolgern, dass nach 6 Wochen noch wesentliche Verbesserungen auftreten können, dass aber auch ein großer Teil von Frauen, rund 30%, geschädigt bleiben, wenn man unmittelbar nach der Geburt solche Schäden feststellt. Das heißt auch, dass sich ein erheblicher Teil von Frauen nach einer vaginalen/natürlichen Geburt Rat und Hilfe suchen sollte – beim Frauenarzt, sofern er etwas von Beckenbodenschutz versteht und ein Pessar einsetzen kann. Bei speziell ausgebildeten Physiotherapeutinnen (siehe dazu hier im Blog die Liste, wie man diese findet) oder bereits in einem Urogynäkologischen Zentrum, um womöglich noch eingehendere Untersuchungen anzustellen, bzw. früh eine Reparatur einzuleiten.
Quellen:
Fairchild PS, et al.: Defining “normal recovery” of pelvic floor function and appearance in a high-risk vaginal delivery cohort. International Urogynecological Journal. 2020 Mar;31(3):495-504.https://link.springer.com/article/10.1007/s00192-019-04152-z