Sex nach natürlichen Geburten ist ein heikles Thema. Die Kaiserschnittgegner zitieren immer wieder Studien, nach denen es in Bezug auf den Sex keinen Unterschied mache, ob eine Frau per Kaiserschnitt oder natürlich entbunden habe – es gäbe Frauen die klagten, andere nicht, aber es liege nicht am Geburtsmodus, wenn etwas nicht stimme. Ob sie das selbst glauben, muss bezweifelt werden, denn als Befürworter einer natürlichen Geburt betonen solche Experten ansonsten gern, dass die zweite und dritte (natürliche) Geburt stets leichter sei, weil ja “alles so schön vorgedehnt ist”. Sex ist zudem nicht nur eine Frage der gedehnten Scheide. Wie gut kann er denn noch sein, wenn “frau” Urin dabei verliert, wenn sie sich vorher entleeren muss, sie die Winde nicht mehr halten kann oder ihr Partner beim Verkehr buchstäblich an die herabsinkende Gebärmutter stößt – also angesichts von Inkontinenz und Prolaps. Dies alles überhaupt so drastisch und realistisch auszusprechen, ist schon ein Tabubruch. Dass Geburtsrisiken immer noch unter den Tisch gekehrt werden, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Betroffene gerade solcher Probleme wegen sich kaum trauen, mit dem Frauenarzt offen über ihre Verletzungen zu sprechen.

Dennoch muss darüber gesprochen werden, denn es gibt auch immer mehr Erkenntnisse darüber. Eine neue wissenschaftliche Studien stellt zum Beispiel die Frage: Welchen Einfluss hat es auf das Sexleben, wenn unter der Geburt ein Muskel reißt – der wichtigste Muskel des Beckenbodens, der Levator ani? Wer als Frau eine solche Avulsion erleidet, muss damit rechnen, ein weniger erfülltes Sexualleben zu haben als Frauen, bei denen der Muskel intakt geblieben ist.Gefragt wurden 100 Frauen, von denen 38% nach einer Saugglocken- oder Zangengeburt einen Levator-Abriss (eine Avulsion) erlitten hatten, und 62% keine (die Saugglocke trug in diesem Kollektiv sogar öfter die Schuld am Abriss als die Zange). Der Levator spannt sich von der Rückseite des Schambeins (Symphyse) nach hinten zum Kreuzbein. Er ist aufgefächert wie eine Hängematte, hat verschiedene Anteile und Lagen und der gefährdetste Teil der Aufhängung ist vorne, wo er unter der Geburt von der Symphyse abreißen kann. Dann hat die Hängematte keine richtige Befestigung mehr, oder es besteht nur noch eine Teilfixierung. Der Levator hält nicht nur die inneren Organe des Beckenbodens fest, “beult” er irgendwo aus, hat das Auswirkungen auf die gesamten Aufhängungen von zum Beispiel der Scheide, der Blase, der Harnröhre, des Enddarms.

In dieser Studie ergab der so genannte FSFI Fragebogen (Female Sexual Function Index), dass die Frauen nach einer Avulsion im Vergleich zu jenen mit intaktem Muskel weniger Verlangen nach Sex verspürten, die Lubrikation nicht so gut funktionierte – sprich, sie nicht so feucht wurden, wie es wünschenswert wäre. Sie wurden nicht so leicht erregt und kamen auch nicht so häufig zum Orgasmus, waren nicht wirklich befriedigt. Die größte Diskrepanz bestand beim Orgasmus, hier blieben die Erwartungen der Frauen am deutlichsten unerfüllt, wenn ihr Levator ani gerissen war (1).

Bereits bei Frauen nach der Menopause hatte man erkannt, das die Qualität des Sexuallebens auch von der Intaktheit des Levators abhängt. In der aktuellen Studie waren die Frauen im Schnitt 30 Jahre alt. Die Autoren – spanische Gynäkologen von der Universitätsfrauenklinik in Sevilla – glauben, dass der Levatorschaden nicht zuletzt mit einer Scheidenlaxheit zusammehängt, über die manche Frauen nach natürlichen Entbindungen klagen. Denn die Scheidenfestigkeit hängt auch vom Levator ab. Insgesamt weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass man nun eher davon ausgeht, dass nicht der Tonus- die Spannung der Muskeln – so entscheidend ist, sondern deren Kraft. Die Kraft hängt aber ab davon, ob sie fest am Hebelarm sitzen oder aber eben nicht, wenn sie abgerissen sind. Dann können sie nur wenig Kraft entfalten. Was dazu passt, dass manche Frauen ihren Muskeltonus irre stärken durch sehr viel (falsches) Training, weil ihnen niemand erklärt, dass dies wenig nützt, wenn diese Muskeln nicht mehr irgendwo Halt finden, keine Befestigung mehr haben. Nicht alle Physiotherapeutinnen können tasten und diagnostizieren, ob es Abrisse gibt. Auch viele Frauenärzte können einen Levatorschaden nicht erkennen – weder durch Tasten noch im Ultraschall.

Andere Arbeiten winken ab und finden in ihren Studien – angeblich – keine sexuellen Probleme, die mit anatomischen Veränderungen am Levator in Verbindung zu bringen wären (2). Aber diese hatten zum Beispiel schwere Geburten mit Zange und Saugglocke ausgeschlossen, so dass die Frage ist, wie schwer die Schäden tatsächlich waren. Und: In einer weiteren Arbeit hatten nur 8% der angeschriebenen Frauen überhaupt geantwortet – die Studie ist also nicht wirklich repräsentativ. Ein weiterer Einwand betrifft die Methodik bei diesen Messungen: In Ruhe lässt sich im Ultraschall zum Beispiel bei Frauen, die über eine weite, lasche Scheide klagen, nicht wirklich gut erkennen, wie stark der Levator / der Beckenboden überdehnbar ist – durchhängt (3). Erst wenn man die Frauen Pressen lässt (Valsalva Manöver), wird deutlich, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen  einer von der Frau als zu locker empfundenen Scheide (laxe, weite Scheide, vaginal laxity), derentwegen sie beim Verkehr zu wenig spürt, und den Symptomen eines geschädigten Beckenbodens gibt. Je größer der Levator-Hiatus, die Fläche, die die übergroße Öffnung oder Dehnung des Beckenbodens anzeigt, desto eher beeinträchtigt die laxe Scheide die Frau.

Immerhin antworten 83% von über 500 befragten Urogynekologen, dass eine laxe Scheide “underreported” sei – dass ihre Patientinnen das nur ungern ansprechen. Dabei vermutet man aufgrund verschiedener Studien, dass etwa ein Viertel bis ein gutes Drittel all derjenigen Frauen, die zum Urogynäkologen gehen, davon betroffenen sind. Über das Vorkommen in der normalen Bevölkerung ist nichts bekannt.

Fazit: Es gibt immer mehr wissenschaftliche Evidenz – vorausgesetzt, man weiß, wie man mit dem Ultraschall richtig diagnostiziert -, dass Schäden an der Beckenbodenmuskulatur auch Auswirkungen auf das Sexualleben haben. Oder, wie die Befürworter der natürlichen Geburt es formulieren würden, nach der ersten natürlichen Geburt “ja alles schon so schön vorgedehnt ist”.

Quellen:

  1. Garcia-Mejido JA,  Idoia-Valero I, Aguilar-Gálvez IM, et al: Association between sexual dysfunction and avulsion of the levator ani muscle after instrumental vaginal delivery [published online ahead of print, 2020 Mar 20]. Acta Obstet Gynecol Scand. 2020;10.1111/aogs.13852. https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/aogs.13852
  2. Roos AM, Speksnijder L, Steensma AB. Postpartum sexual function; the importance of the levator ani muscle [published online ahead of print, 2020 Feb 24]. Int Urogynecol J. 2020;10.1007/s00192-020-04250-3. https://link.springer.com/article/10.1007/s00192-020-04250-3
  3. Manzini C, Friedman T, Turel F, et al: Vaginal laxity: which measure of levator ani distensibility is most predictive?. Ultrasound Obstet Gynecol. 2020;55(5):683-687. https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/uog.21873