Wer hat schon mal von Pessaren gehört? Sehr viele Frauen, alte, sehr alte und mittelalte haben davon gehört, und immer mehr jüngere hören davon, seit sie sie benötigen. Diejenigen, denen Beckenbodenschäden erspart geblieben sind, ahnen ebenso wenig wie die meisten Männer, was sich dahinter verbirgt. Pessare sind heutzutage aus Plastik/Silikon und es ist sehr verwunderlich, in welch unterschiedlichen Formen es sie gibt: Als Würfel, als eingedellte Würfel, als Doppelwürfel, als Ringe, als Ovale, als Schalen, als aufblasbare Ballons, als Stempel, als Donat, mit Fäden und ohne, viereckig, rund, gebogen, durchlöchert oder nicht. Was kann das sein, fragt sich der Unbedarfte, die Teile wären gut für eines dieser Radiorätsel, bei denen kein Mensch darauf kommt, was es sein kann. Allen gemeinsam ist jedenfalls: Man schiebt ein Pessar in die Scheide einer Frau, damit dieses Teil den Beckenboden bei Senkungsbeschwerden stützt, manche sind überdies dazu gedacht, auch bei Urininkontinenz den Verschluss der Harnblase zu unterstützen. Früher waren Pessare ein Altfrauenphänomen: Die Urogynäkologen wussten nicht mehr, mit welcher Operation sie bei einem sehr ausgeleierten Beckenboden im hohen Alter den Frauen noch helfen sollten. Oder man wagte keine umfangreiche, belastende Beckenbodenoperation mehr wegen der OP-Risiken. Aber inzwischen nutzen die jüngeren Frauen immer häufiger Pessare, davon zeugt schon der Markt, ein zuverlässiges Signal, dass da ein Bedarf ist. Und ich kann sie nur bestärken: viele sollten Pessare nutzen, sie können auf ganz unterschiedliche Weise segensreich sein – nicht nur als OP-Ersatz.

Obwohl ich mich schon viele Jahre mit Beckenbodenbeschwerden befasse und gefühlt unzählige Studien dazu gelesen habe, bin ich erst relativ spät auf das Thema “Pessare” gestoßen. Bis ich in einer urogynäkologischen Sprechstunde gesehen habe, wie sie herausgeholt und eingesetzt werden, konnte ich mir deren “tragende” Wirkung nicht vorstellen. Inzwischen habe ich dazugelernt, auch einschlägige Fortbildungen auf Kongressen der Urogynäkologen besucht, Fachartikel gelesen und mit Ärzten gesprochen, die die Pessare anwenden. Vor allem Frauen, die ihren Halt nach unten verloren haben, die sich lose anfühlen, die denken, alles sinke nach unten nach einer natürlichen Geburt, sind gut beraten, sich über eine Pessartherapie beraten zu lassen. Es muss nicht gleich ein schwerwiegender Levatorabriss sein, es muss nicht gleich ein Sphinkterschaden am Darmverschluss sein, es muss nicht gleich der Urin unkontrolliert verloren gehen. Manche Frauen spüren einfach nur, dass alles so sehr gedehnt ist, das Bindegewebe, die Muskulatur so schwach ist, dass die Organe nach unten drücken. Wegen des Zuges an den Aufhängebändern (z.B. der Gebärmutter) kann dies auch Schmerzen verursachen. 

Hier können Pessare in der ersten Zeit, sogar über Monate hinweg, segensreich wirken. Denn sie “adjustieren” praktisch den Beckenboden nach oben, zurück in eine Ebene, die allen Organen, Bindegewebsstrukturen und Muskeln erlaubt, sich in der ursprünglichen Anatomie zu erholen. Manche Experten – ich gebe das mal so wieder, was diese mir aus ihrer persönlichen Erfahrung berichten – halten Erholung nach einer natürlichen Geburt für mindestens ebenso wichtig wie Beckenbodentraining. Und Erholung heißt eben, auf ein komplett überdehntes elastische Gewebe nicht noch Gewichte legen, sondern lieber von unten stützen und Zeit geben, damit sich die kleinen Gewebsverletzungen, die Belastungen, die durch den starken und übergroßen Zug an den Fasern entstanden sind, wieder zurückbilden können. Wir wissen von Narben, dass geschwächtes Gewebe nicht noch zusätzlich belastet werden darf, dass es besser heilt, weniger dysfunktionales Narbengewebe zurück bleibt, je mehr Ruhe man ihm gönnt. Die Geburt kann zu minimalen Mikroverletzungen führen, die nicht alle als – funktionell untaugliche – Vernarbungen enden müssen, wenn man den zellulären Reparaturmechanismen Zeit gibt.

Immer öfter lese ich auch von physiotherapeutischen Empfehlungen, denen zufolge zum Beispiel Frauen nach Geburten ein Jahr nicht Joggen sollten. Das klingt nach einer sehr langen Schonungsphase. Viele fühlen sich zwar viel früher wieder fit, wissen aber nicht, dass ihr Beckenboden es noch nicht ist. Jede Beschleunigung, die eine Art Fallen ihrer inneren Organe nach unten bewirkt – bei jedem Laufschritt während des Jogging – bedeutet zusätzliche Last auf dem Beckenboden – man schleudert quasi die Organe mit Wucht nach unten. So ist es auch beim ruckartigen Heben, beim die Treppe runter Hüpfen, bei kleinen Sprüngen usw. Hier kann das Pessar einen Schutz bieten, den man nicht wie das Anspannen der Muskeln bewusst einsetzen muss – was allzu oft vergessen wird. Dies ist vielmehr ein eingebauter Schutz, der immer drin ist und auch nützt, wenn man nicht an die richtige Körperhaltung denkt.

Es gibt nicht so viele Aufsätze über Pessartherapie direkt nach der Geburt. Einer ist ein Bericht über einen Kongressbeitrag von Professor Dr. med. Ralf Tunn und seiner Mitarbeiterin Dr. Kathrin Beilecke vom Deutschen Beckenbodenzentrum in Berlin. Sie nennen neben der lokalen Östrogenbehandlung – also Hormoncreme in der Scheide, Vitamin-D Einnahme (was alle Vitamin-D-Experten nur bei niedrigen Spiegeln für sinnvoll halten) ausgesprochen die Pessartherapie als Präventivmaßnahme zur Vorbeugung. Die beiden Experten sprechen ausdrücklich von Prävention, das gilt es hervorzuheben. Es geht also darum, selbst in jenen Fällen, in denen noch kein direkter Beckenbodenschaden auszumachen ist, schon Prävention zu betreiben (damit die Frauen möglichst nicht Jahre später von ihren Geburtsschäden eingeholt werden).

Einschub: Klärt irgendjemand die Frauen darüber auf, dass es solche Aufsätze gibt? Dass man das Beckenboden-Bindegewebe nach einer natürlichen Geburt möglichst durch solche Maßnahmen zusätzlich zur Rückbildungstherapie unterstützen soll? Wäre das nicht eine zwingend notwendige Botschaft für jeden Geburtsvorbereitungskurs?

In diesem Text nennen Professor Tunn und seine Kollegin ein bestimmtes Pessar – ich will hier keine Werbung für Marken oder Typen machen – aber das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, dass sie schreiben, die “Regeneration” sollte unterstützt werden. Die Bänder, an denen die Beckenbodenorgane aufgehängt sind, sollen vom Druck und vom Zug entlastet werden. Nicht zuletzt auch der Levator ani. So wie viele Experten sprechen auch diese beiden sich für einen Einsatz des Pessars nach Abschluss des Wochenflusses (der Lochien, als der Reinigung der Gebärmutter nach einer Geburt) aus. Diese Lochien bergen nach Ansicht mancher ein erhöhtes Infektionsrisiko, daher sollte dieser Ausfluss abgeschlossen sein. Danach kann die vorbeugende Pessar-Behandlung drei bis sechs Monate angeboten werden. Wer meinen Blog kennt, kann daraus schon eine wichtige Botschaft destillieren: Nicht erst, wenn ganz schwere Schäden nach einer Geburt vorliegen, sondern schon rein “präventiv” sollten Frauen nach natürlichen Geburten in Erwägung ziehen, ein Pessar zu tragen. Also eigentlich alle – es sollen schließlich auch alle Rückbildungsgymnastik machen. Das traut man sich noch nicht so deutlich auszusprechen, aber wer zwischen den Zeilen lesen kann, der sieht, wohin die vorbeugende Reise gehen wird. Weil das Frauen garantiert nicht in jedem Geburtsvorbereitungskurs zu hören bekommen, widme ich den Pessaren gleich zwei Blogeinträge. Nächstes Mal geht es weiter.

Quellen: Tunn R, Beilecke K: Therapieansätze zur Beeinflussung des Beckenboden-Bindegewebes post partum. gynkongress DGGG 2018 / Wissenschaftliche Sitzung Beckenbodenprotektive Geburtshilfe. 31. Oktober 2018