Im letzten Blog ging es darum, dass Pessare zwar von manchen Ärzten vor allem bei Frauen eingesetzt werden, die über Beckenbodenbeschwerden klagen. Dann tragen diese sie so lange, bis keine Symptome mehr vorhanden sind. Aber, auch das war Thema, sie können auch ohne Symptome, allein zur Förderung der „Heilung“ eingesetzt werden, weil man eben inzwischen davon ausgeht, dass der Beckenboden nach einer natürlichen Geburt Unterstützung nötig haben könnte – ob nun Beschwerden da sind oder nicht. Dann sollte “frau” das Pessar tragen, bis die Rückbildung abgeschlossen ist, pauschal nennen Experten hier mindestens 6 Monate. Im Zweifel hilft ein Besuch in der urogynäkologischen Sprechstunde bei der Entscheidungsfindung. Der Spezialist kann die Beckensituation nach dieser Frist individuell beurteilen und entweder verlängern oder entscheiden, dass das Pessar nun nicht mehr notwendig ist. Wissenschaftliche Daten gibt es hierfür indes noch nicht. Allerdings allerlei Interessantes im Internet. Keine Frage, die Pessartherapie erlebt eine Art Renaissance.

Leider hat eine Studie, die die Effekte der Pessartherapie nach der Geburt untersucht hat, nicht eindeutig zeigen können, dass Frauen mit schwachem Beckenboden davon profitieren. Es hatte vermutlich viele Ursachen, dass dies ein negatives Ergebnis war, mit einem besseren Design hätte sich vielleicht eine Wirkung nachweisen lassen. Aber das wird nicht die letzte Studie dieser Art sein. Zum einen, weil sich immer klarer die Erkenntnis durchsetzt, dass man Frauen nach einer natürlichen Geburt schützen, ihrem Beckenboden Halt geben muss. Zum anderen, weil die Industrie dies längst entdeckt hat und inzwischen sehr individuelle Lösungen angeboten werden. Hier sei eine Firma in den USA genannt, die im 3D-Druck-Verfahren die Passformen noch genauer dem Körper anpassen will – mittels vorher in der Bildgebung erhobenen Daten (https://www.cosm.care/). Ich hatte zuvor noch nie von 3D-Druck-Pessaren gehört, kenne aber diese Verfahren gut und vermute, dass hierdurch noch besser eine individuelle Anpassung an die jeweilige Anatomie der Patientin erreicht werden kann.

Denn – ein Hauptproblem der Pessare ist es, die richtige Passform für die einzelne Patientin zu finden und damit die Nebenwirkungen auszuschalten. Ein Pessar muss richtig fest sitzen, sonst fällt es aus der Vagina heraus. Es darf aber auch nicht zu viel Druck an der Scheidenwand ausüben – sonst entstehen Druckgeschwüre. Dies umso eher, je trockener die Scheidenschleimhaut ist, weshalb zur Pessartherapie mitunter regelhaft Östrogensalben empfohlen werden. Wichtiger ist es, in Ruhe und mit Sachverstand die richtige Form und vor allem die richtige Größe auszuwählen, erst dann entfalten Pessare ihre uneingeschränkte Stützfunktion, ohne weh zu tun. Viele Frauen berichten, sogar dass sich mittels Pessartherapie ihr Sexleben verbessert hat. Das hat mit der Steigerung der Lebensqualität zu tun, oder auch damit, dass sie nicht mehr fürchten, beim Koitus Urin zu verlieren, weil manche Pessare auch die mit Scham verbundene Harninkontinenz stoppen können. Während die Mehrzahl (70 %) berichten, dass sie die Pessare während des Intimverkehrs herausnehmen, gibt es auch Frauen, die sie an Ort und Stelle belassen.

Ein Pessar anpassen und einsetzen, das kann längst nicht jeder Frauenarzt. Zwar haben Gynäkologen wohl alle schon mal Pessare gesehen. Besucht man aber Fortbildungen zu Pessaren auf Kongressen, wird rasch klar, dass längst nicht jeder Arzt weiß, für welche Patientin welche Pessare nützlich sind. Pessare einzusetzen und anzupassen lohnt sich auch finanziell kaum, daher hält sich das Interesse vieler Frauenärzte in Grenzen. Da es so viele unterschiedliche Formen und Größen gibt und jedes Pessar mit einer anderen Technik eingesetzt wird, da Pessare in der Stützfunktion auf unterschiedliche Bereiche der Vagina wirken, ist infolgedessen nicht jeder Frauenarzt Spezialist in der Pessartherapie, die eine Ausbildung und Erfahrung voraussetzt. In anderen europäischen Ländern verhält es sich ganz ähnlich. Befragungen in Großbritannien und in den Niederlanden lassen erkennen, dass Wissen und Training in Sachen Pessartherapie unter Ärzten beträchtlich variieren.

Inzwischen geben sich die Frauen gegenseitig Ratschläge und sprechen über Pessare als Laien und Anwender (https://www.youtube.com/watch?v=-BUoKOjj6Qs). Urogynäkologische Zentren entdecken, dass der Prolaps nach einer Geburt ein wichtiges Thema ist und nicht nur ältere Frauen „Pessarbedarf“ haben und nennen Pessare als wichtige Therapieoption (https://www.crystalrunhealthcare.com/articles/prolapsed-uterus-after-childbirth-what-you-need-know), große Krankenhäuser und Beckenbodenzentren widmen Pessaren schon eine Seite auf ihrer Homepage, sei dies in Bremen oder im fernen Australien (https://www.thewomens.org.au/health-information/vulva-vagina/vaginal-prolapse/more-about-pessarieshttps://www.sjs-bremen.de/unsere-kompetenzen/gynaekologie-und-geburtshilfe/beckenbodenzentrum/therapie/hilfsmittel-zur-behandlung-von-blasenschwaeche-und-senkungsbeschwerden-pessare.html). Und schließlich sei erwähnt, dass das Einsetzen von Pessaren zwar leider nicht allen Berufsgruppen erlaubt ist, dass aber immer mehr Gesundheitsberufe außerhalb der Ärzteschaft den Bedarf erkennen, Pessare empfehlen und auch dazu beraten. Dazu zählen insbesondere die speziell ausgebildeten Physiotherapeuten (Eine Liste für Deutschland findet man hier: https://www.ag-ggup.de/therapeutenliste/therapeutenliste-beckenboden/) und auch solche, die zum Beispiel nach einer Geburt einen eigenen Beckenboden-Check-up anbieten (https://www.almut-koewing.de/pessarberatung/). Ein Hinweis von vielen Rückmeldungen aus dem Kreise der Geschädigten an diesen Blog: Es lohnt sich unbedingt, einen versierten Physiotherapeuten aufzusuchen, der vom Beckenboden Ahnung hat. Sonst kann man mit fehlgeleiteten Übungen mehr falsch machen, als dass sie therapeutisch nützlich sind. 

Wer es sich als Frau zutraut, kann Pessare auch selbst anpassen und auswählen, sie sind erschwinglich, das macht es vielen Frauen leicht (https://pessartherapie.de/de/startseite/). Allerdings empfehle ich dringend, einen erfahrenen Pessartherapie-Spezialisten aufzusuchen, der die wichtigsten Prinzipien erklärt, eine ungefähre Ahnung von der Größe hat, mit der man starten sollte, und der bei Druckbeschwerden oder bei einem Scheidenausfluss infolge einer Infektion raten kann, wie mit solchen Nebenwirkungen umgegangen werden sollte. Manche Pessare haften extrem fest an der Scheidenwand und sind von der Nutzerin nur schwer oder gar nicht heraus zu manövrieren, wenn sie sich nicht auskennt, andere haben einen Faden, um sie heraus zu ziehen. Dies darf man jedoch keineswegs mit einem Tampon verwechseln, denn Pessare sitzen viel fester. Aber auch hier tut sich einiges. Gerade untersucht eine Studie, welche Anleitungen Frauen benötigen, um sich Pessare selbst einzusetzen und zu entfernen – ein weiterer Fingerzeig, dass wir von diesem passiven Beckenschutz vielleicht noch viel zu erwarten haben.

Noch ein abschließendes Wort zur Herkunft: Pessarium ist ein lateinischer Begriff und heißt Mutterkranz, pessum, ebenfalls Latein, heißt Gebärmutterzapfen oder – stöpsel. Damit kannte man schon in Rom beide Verwendungen – einmal als Verhütungsmittel, einmal als Stütze für den Beckenboden. 
Und schließlich diesmal eine Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten, da in diesem Beitrag auch Webseiten von Firmen verlinkt sind, die Pessare verkaufen: Für deren Nennung erhalte ich weder Geld noch sonstige geldwerte Vorteile. Da aber manche Frauen Tipps zu schätzen wissen, um sich über mögliche Größen und Formen zu informieren, sind die konkreten Hinweise auf solche Webseiten vielleicht eine Hilfe.

Quellen:

  1. Baessler K, Heihoff‐Klose A, Boelke S, Stupin J, Junginger B: Cochrane Central Register of Controlled Trials. Does an early postpartum pessary treatment lead to remission of pelvic organ prolapse after vaginal birth? A pilot study- International urogynecology journal, 2019; 30(1):S349‐S350. https://doi.org/10.1007/s00192-019-04116-3
  2. Velzel J, Roovers JP, Van der Vaart CH, Broekman B, Vollebregt A, Hakvoort R. A nationwide survey concerning practices in pessary use for pelvic organ prolapse in The Netherlands: identifying needs for further research. Int Urogynecol J. 2015 Oct;26(10):1453-8. doi: 10.1007/s00192-015-2697-6. 
  3. Brown CA, Pradhan A, Pandeva I. Current trends in pessary management of vaginal prolapse: a multidisciplinary survey of UK practice. Int Urogynecol J. 2020 Oct 9. doi: 10.1007/s00192-020-04537-5. 
  4. Bugge C, Kearney R, Dembinsky M, Khunda A, Graham M, Agur W, Breeman S, Dwyer L, Elders A, Forrest M, Goodman K, Guerrero K, Hemming C, Mason H, McClurg D, Melone L, Norrie J, Thakar R, Hagen S. The TOPSY pessary self-management intervention for pelvic organ prolapse: a study protocol for the process evaluation. Trials. 2020 Oct 8;21(1):836. doi: 10.1186/s13063-020-04729-w.
  5. Rantell A. Vaginal Pessaries for Pelvic Organ Prolapse and Their Impact on Sexual Function. Sex Med Rev. 2019 Oct;7(4):597-603. doi: 10.1016/j.sxmr.2019.06.002.