Kein Zweifel, der Hebammenkreißsaal ist zu 90 % ein Arzt- und Ärztinnenkreißsaal. So will es die Überschrift zur Pressemitteilung der Studie zum Hebammenkreißsaal: “Bei 90 % aller Geburten ist Anwesenheit von ärztlichen GeburtshelferInnen erforderlich”. Im September 2020 wurde der Abschlussbericht zum „Forschungsprojekt Hebammenkreißsaal“ vorgestellt. Was will uns diese Forschung sagen? “Unter dem Strich profitieren die Gebärenden von einer guten, respekt- und vertrauensvollen interprofessionellen Zusammenarbeit und leiden bei einer schlechten.” Bei einer schlechten Zusammenarbeit des Personals würde jeder Kranke leiden, bei einer guten profitieren, zu dieser Erkenntnis hätte es keiner Studie bedurft. Aber das ist nicht das einzige wichtige Fazit: “Gleichwohl”, so heißt es weiter, ja gleichwohl sind Ärzte und Ärztinnen für die Sicherheit von Mutter und Kind in 90 % aller Geburten im Kreißsaal unabdingbar. Wie kann das denn sein? Wo doch eine natürliche Geburt in Hebammenhand so ohne Medikalisierung durch all die unnötigen medizinischen Interventionen das Optimum sein soll. Statt dessen höre und staune der/die LeserIn: nicht weniger Schäden tragen die Schwangeren im Hebammen-geleiteten Kreißsaal davon, sondern mehr von den schlimmeren – mehr höhergradige Dammrisse. Dafür haben die Hebammen mehr Spaß und sind zufriedener. Die müssen ja am Ende auch nicht mit den höhergradigen Verletzungen leben. 

“Die Geburt im Hebammenkreißsaal verlaufe schneller und mit weniger Interventionen, insbesondere mit weniger Episiotomien und Dammrissen II. Grades, allerdings auf Kosten einer größeren Häufigkeit höhergradiger Geburtsverletzungen”, heißt es in der Pressemitteilung. Was sich hinter den “höhergradigen” Geburtsverletzungen verbirgt, verschweigt die Höflichkeit der Pressemitteilung. Wer lesen kann und sich auskennt, weiß, dass hier einfach der Ausdruck “Dammrisse III. und IV. Grades” gemeint ist, aber das vermeidet man tunlichst, denn sonst könnte der Laie schon argwöhnen, dass es den Schwangeren schlechter geht.

Ich bitte die Leserinnen und Leser meines Blogs, mir meinen Sarkasmus bei diesem ernsten Thema zu vergeben, aber anders kann ich diese “Mitteilung” nicht kommentieren. Direkt unter der Nachricht, dass die Schwangeren mit schlimmeren Verletzungen rechnen müssen, steht doch glatt als Zwischenüberschrift: “Hebammen spüren größere Freude durch mehr originäre Arbeit” – bei einem derart offen zur Schau gestellten Zynismus bleibt einem fast der Kommentar in der Tastatur stecken. Liebe Hebammen, habt Ihr tatsächlich mehr Freude bei der Arbeit, wenn währenddessen die Schwangeren mehr höhergradige Dammrisse erleiden? Geht es Euch um originäre Arbeit oder um gesunde Mütter und Kinder? Sollte man nicht allen Schwangeren vor der Geburt mitteilen, dass die Freude der Hebammen das Ziel der Geburtshilfe in den von ihnen geleiteten Kreißsälen ist, was hingegen mit den Frauen geschieht, ist offenbar zweitrangig. So jedenfalls liest man diese Pressemitteilung.

Ich möchte die nun so zufriedenen Hebammen fragen, ob sie sich selbst vielleicht ein einziges Mal fragen, wie zufrieden eine von ihnen im Hebammenkreißsaal betreute Frau mit ihrem Beruf noch sein kann, wenn sie infolge der höhergradigen Verletzungen windinkontinent oder stuhlinkontinent geworden ist, wenn sie derart gehandikapt dann vor einer Klasse stehen soll als Lehrerin, als Stewardess im engen Flugzeug arbeiten muss, mit Kollegen den ganzen Tag im Büro sitzen wird? Sorry, habe ich vielleicht übersehen, dass nicht um die Zufriedenheit der werdenden Mütter, sondern um die der Hebammen geht? Man weiß nicht, über was man sich mehr wundern soll: Die Chuzpe, mit der hier ein Berufsstand offen zugibt, dass sie die gravierenderen Beckenbodenschäden einer Frau in ihrem Hebammen-geleiteten Kreißsaal nicht wirklich interessieren, oder womöglich die Dummheit, dass hier keiner merkt, welche Blöße man sich mit diesen Sätzen gibt, wie sehr man die eigene Ideologie entlarvt.

Ein weiteres  wichtiges Resultat: “Die Weiterleitungsrate in den ärztlich geführten Kreißsaal lag bei 50,3 %”. Dass heißt, die Hebammen waren nur bei knapp der Hälfte der Schwangeren in der Lage, die Geburt selbständig zu Ende zu begleiten. Was aber noch viel besser aufdeckt, wo die Missstände liegen: “Insgesamt liegt der Anteil an gesunden Schwangeren mit unauffälligem Schwangerschaftsverlauf und Erwartung einer unkomplizierten Geburt in Deutschland nach konservativer Schätzung bei etwa 20 %” – nur diese handverlesenen Schwangeren mit Niedrigrisiko kamen überhaupt zur Geburt in den Hebammen-geleiteten Kreißsaal. Die anderen waren von vorneherein zu kompliziert, da sie wegen “häufig gewünschter Periduralanästhesien (PDA) bis hin zu pathologischen Geburtsverläufen, wie starken Blutungen, Beckenendlagen, Frühgeburten, vaginal-operativen Geburten sowie Kaiserschnitten”, dann doch den Mediziner benötigten. Und zur Beruhigung aller heißt es schließlich: “Wichtig ist zudem, dass eine Geburt im Hebammenkreißsaal eine Geburt in der Klinik ist. Die Ergebnisse zur Sicherheit für Mutter und Kind können nicht auf die außerklinische Geburtshilfe übertragen werden”.

Wir halten fest: Normale, komplikationslose Geburten sind weit seltener als solche, die einer ärztlichen Intervention bedürfen. Wenn schon die besten Schwangerschaftsverläufe mit den gesündesten Schwangeren und den Top-Vorsorgebefunden zur Hälfte doch nicht von den Hebammen beendet werden können – trotz größerer Freude an der originären Arbeit – dann fragt man sich, warum hat man es denn nicht geschafft, diese Schwangeren mit den optimalen Voraussetzungen auf Hebammenart allein durch Hebammen zu entbinden. Wir originär gut ist denn eine Hebammen-geleitete Geburtshilfe, wenn sie selbst unter solchen Bedingungen in der Hälfte der Fälle nicht ausreicht. Was bleibt denn übrig von den Behauptungen, Geburten verliefen so viel besser, wenn die Hebammen erst agieren könnten, wie sie wollten – konnten sie doch jetzt, so sehr sogar, dass sie mehr Freude an der Arbeit hatten. Wie man sieht, werden die Frauen dennoch verletzt, mehr sogar. Wo bleibt denn der vielgepriesene Dammschutz? Nicht mal im optimierten Klientel greift er offenbar. Die in dieser Mitteilung berichteten Beobachtungen sind ein totales Armutszeugnis. Es wäre Zeit, mehr Demut zu zeigen. Mehr Demut gegenüber einem schwierigen, komplikationsträchtigen Geschehen, wie es die Geburt eines ist. Mehr Demut gegenüber Schwangeren, denen Schäden drohen, die zu verhüten Hebammen eigentlich einstmals angetreten sind, gegenüber Frauen, die sich ihnen in dem Glauben anvertrauen, sie würden beschützt. Stattdessen stellt man die eigene Zufriedenheit heraus. 

Dennoch muss man für die Ergebnisse dankbar sein, sind sie doch eine klare Warnung für alle Schwangeren. Sie zeigen – wieder einmal, möchte man sagen – dass so vieles, was über eine natürliche Geburt herbeiphantasiert wird, an der Realität scheitert. Die wenigsten Schwangeren haben eine einfache Geburt zu erwarten, selbst im besten Fall läuft es bei der Hälfte nicht optimal. Sogar dann, wenn die Hebammen genau das tun können, was sie wollen und stets fordern, ereignen sich unter ihren angeblich so kundigen Händen sogar mehr von den folgenträchtigen, tiefer gehenden Verletzungen am Damm als weniger. Das haben wir nun auch noch schwarz auf weiß. 

Quellen:

  1. https://idw-online.de/de/news753338 (PS: Die Pressemitteilung ist dokumentiert – es nützt wenig, wenn, wie in der Vergangenheit erlebt, jetzt jemand hingeht und retuschiert oder löscht).