Wir hatten das Thema schon im April: Zahlreiche Studien versuchen geradezu krampfhaft, den Zusammenhang zwischen Beckenbodenschäden und Beschädigung des sexuellen Erlebens einer Frau zu leugnen. Dabei zeigt sich nicht nur, dass die Frauen – natürlicherweise – weniger Lust empfinden, wenn sie in jener Region eine Verletzung erlitten haben oder beschädigt wurden. Es ist eben eine enorm wichtige erogenen Zone, die für den Sex so eine große Rolle spielt. Defekte und Verletzungen kann es am Scheidenausgang geben, im Bereich der Schamlippen und der Klitoris, am Ausgang der Harnröhre und des Darms oder in der Muskulatur, die alles trägt und in Form hält. Es kann sein, dass eine Frau sich zu sehr gedehnt fühlt, dass ihr Narben vom Dammriss oder vom Dammschnitt Schmerzen bereiten, dass sie sich schämt, weil sie sich beispielsweise wegen des unwillkürlichen Austritts von Urin unsauber fühlt oder weil sie sich deswegen ihrer Erregung nicht so ohne weiteres und nicht vollends hingeben kann. Wer dort, wo sich die körperliche Liebe abspielt, verletzt worden ist, ist in sexueller Hinsicht genauso wenig voll funktionsfähig wie es jemand beim Laufen ist, der ein gebrochenes Bein hat.

Hier kommt nun ein neuer Beweis dafür, wie wichtig die Intaktheit und die Funktionsfähigkeit des Beckenbodens für das Intimleben ist: Verschwindet die Harninkontinenz, fühlt sich “frau” nach einer Therapie wieder “dicht”, hat sie auch wieder mehr Spaß im Bett. Die Fakten dafür liefert eine fleißige Arbeitsgruppe aus Warschau.

Die polnischen Ärzte gehen davon aus, dass eine so genannte Belastungsinkontinenz – unwillkürlicher Harnabgang bei Belastungen wie Husten, Hüpfen, Lachen, oder anderen Tätigkeiten, bei denen wir die Bauchpresse anspannen – selbstverständlich das Sexualleben einer Frau negativ beeinflusst, wie es in der Fachsprache heißt – female sexual dysfunction oder FSD. Die Frauen haben Angst, beim Sex Urin zu verlieren. Das mindert ihre Lust auf das Zusammensein mit dem Partner oder der Partnerin und ihre Fähigkeit, sich genügend zu entspannen, um einen Orgasmus zu erleben. Diese polnische Gruppe nennt auch eine Prozentzahl – 60% der Frauen, die harninkontinent sind, sollen demzufolge auch unter FSD leiden. Auf die Prozentzahlen kommt es jedoch nicht so sehr an wie auf das Eingeständnis, dass sich die Funktionsstörungen und krankhaften Veränderungen in der Genitalregion auswirken. Wen jemand zum Beispiel im Genitalbereich Warzen hat, oder wenn Männer inkontinent sind, versucht niemand zu leugnen, dass dies für ein befriedigendes sexuelles Erleben nicht eben zuträglich ist. Aber geht es um Beckenbodenschäden der Frau, dann soll das nicht mehr gelten, beziehungsweise, man bemäntelt es – der “Preis der Mutterschaft”, oder was dergleichen Sprüche mehr sind.

Die polnischen Forscherinnen – Haupt- und Erstautorinnen dieser Studie sind Frauen, ich bin fest davon überzeugt, dass auch dies eine Rolle spielt – lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie haben untersucht, was geschieht, wenn man die Harninkontinenz effektiv behandelt. Das taten sie bei 171 Frauen mit Stressinkontinenz. Ihre Erfolgsrate war hoch, – 90,98 %. Angewandt wurde die gängigste Methode, die so genannte TVT-Schlinge oder tension free vaginal tape, bei der ein Bändchen unter der Harnröhre hindurchgezogen wird und spannungsfrei deren Lage entscheidend verbessert. So verbessert, dass dann die Dichtigkeit des Blasenverschlusses, da wo die Harnröhre die Harnblase verlässt, wieder gewährleistet ist. Die Erfolgsraten dieses Eingriffs sind generell sehr hoch, sie liegen zwischen 70 und 90 %, und die Komplikationsraten sind niedrig. In der Gruppe in Warschau hat man sich erkennbar Mühe gegeben, über 90 % Erfolg ist sehr respektabel. Bei den Frauen, die wieder kontinent wurden, besserte sich auch die FSD – nicht jedoch bei denen, die nicht von der Schlingenoperation profitierten, deren Blasenschwäche bestehen blieb.

Insbesondere berichteten die Frauen, ihre Scham und Angst beim Sex verloren zu haben, sie fühlten sich weniger erniedrigt, wurden leichter erregt, erlangten mehr Selbstbewusstsein in sexueller Hinsicht und waren auch deutlich öfter mit ihrem Partner intim zusammen. Die Autoren erläutern, dass andere Studien nicht immer zu ähnlich guten Ergebnissen kommen. Allerdings hat das Gründe, denn mitunter sind die Frauen nach solch einem Eingriff mit der Schlingen-OP zwar “dicht”, aber sie haben dann umgekehrt Schwierigkeiten, entspannt Wasser zu lassen. Das kann den Erfolg des Eingriffs auch in punkto Sexualleben beeinträchtigen. Es gilt also, zwingend Komplikationen der Schlingenoperation zu vermeiden, sie richtig auszuführen und vorher genau zu überlegen, welchen Nutzen sie hat. Außerdem können bei so einem Eingriff auch Nerven verletzt werden, die für die Erregung und die sexuelle Lust bedeutsam sind. In dieser Studie war offenbar ein außerordentlich versiertes, professionelles Team am Werk, die Resultate zeugen von hoher Qualität der Klinik. Wichtiger ist aber noch ein anderer Aspekt. Oft haben Frauen, die nach natürlichen Geburten Beckenbodenschäden erleiden, irgendwann Operationen an der Scheidenwand, wo Netze angebracht werden, die die Senkungsproblematik beheben sollen. Diese Bänder können sich bekanntlich verhärten, was Schmerzen beim Sex, insbesondere bei der Penetration und beim Koitus auslösen kann. Dass dann eine erfolgreiche Kontinenztherapie das sexuelle Empfinden nicht mehr verbessern kann, ist plausibel. Es gilt also immer zu schauen, was vorher schon an Therapien erfolgte, die möglicherweise kontraproduktiv waren.

Für Frauen, die nach der Geburt dauerhaft trotz Beckenbodentraining oder anderer Maßnahmen eine Blasenschwäche spüren und die dadurch ebenfalls im Zusammensein mit ihren Partnern und Partnerinnen gehandicapt sind, gilt festzuhalten, dass sie sich nicht beschwichtigen lassen sollten, sie hätten schließlich “auch sonst viel Stress” oder es gelte, erst einmal die neue Situation mit dem Kind auf die Reihe zu bekommen. Es auf die Psyche, auf den Stress mit der noch unbekannten familiären Lebenssituation zu schieben, nützt wenig, wenn man nicht ernsthaft auch die körperlichen Schäden bedenkt – körperliche Schäden, die von der Geburt herrühren. Das lenkt nur von Ursache und Wirkung ab (unabhängig davon, dass auch der schwache Beckenboden, ein Gebärmuttervorfall oder eine zu sehr gedehnte Scheide für Enttäuschungen mit verantwortlich sein können). Das ist der verzweifelte Versuch, einen Schaden, der zwischen den Beinen lokalisiert ist, im Kopf zu verorten.

Die Studie beweist eindrucksvoll: Behebt man dieses Handicap, dann behebt man damit auch die Folgen, spricht die Auswirkungen, die eine schwache Blase auf den Intimverkehr hat. Das kann ein TVT-Band sein, das kann in weniger schwierigen Konstellationen nach einer Geburt auch ein anspruchsvolles, angeleitetes Beckenbodentraining sein, das kann auch mal mit einer Lasertherapie fürs erste gelingen. Wichtig ist es, sich nicht einreden zu lassen, mit dem Schaden müsse man leben und lieben, und man sei als Frau unfähig, wenn man nicht trotzdem im Bett funktioniere. “Frau” hat allen Grund, alles Recht, mit solch einem Problem nicht funktionieren zu können. Oder wie die polnischen Forscher/Innnen schreiben: “Having acknowledged that the physical aspect of Urinary Incontinence is one of the important factors responsible for sexual dysfunction, it is reasonable to assume that the resolution of incontinence will positivelyinfluence the quality of sexual life.”

Quellen:

  1. Horosz E, Zwierzchowska A, Pomian A, Majkusiak W, Tomasik P, Barcz E. Impact of Midurethral Sling Implantation on Sexual Function in Women with Stress Urinary Incontinence. J Clin Med. 2020 May 20;9(5):1538. doi: 10.3390/jcm9051538.