Würden Ärztinnen und Ärzte einem Fußballspieler, der körperlich beeinträchtigt ist, so dass er nicht mehr gut Fußball spielen kann, als Therapie empfehlen, mehr Fußball zu spielen? Wohl kaum. Aber bei Beckenbodenschwäche, die bekanntermaßen auch damit einhergeht, dass das sexuelle Empfinden und Erleben eingeschränkt ist, tun Expertinnen oder Experten eben dies. In einer Zeitschrift für Sexualmedizin preisen sie als Methode zur Verbesserung der Muskelkraft des Beckenbodens an, sich per Kegel-Übungen mehr Orgasmen zu verschaffen, um den Beckenboden zu kräftigen. Zugegeben, die Studie ist nicht qualitätvoll, eigentlich müsste man sie ignorieren. Aber um einmal vorzuführen, auf welch abstruse Ideen Forschende kommen, wenn es um Therapieempfehlungen für Frauen nach der Geburt geht, und um zu zeigen, wie sie eigentlich die wirklichen Probleme damit ignorieren, möchte ich dies zum Jahresabschluss gern beleuchten. 

Kegel-Übungen für die Vagina muss ich hier nicht mehr erklären, sie sind eine Methode für das Beckenbodentraining. Jetzt haben zwei Forschende an einem Gesundheitszentrum in Indien zwei Gruppen von Erstgebärenden nach ihrer Geburt zum einen angewiesen, einfach standardmäßig ihre Kegel-Übungen mit der Scheide zu machen (das waren 26 Frauen); die zweite Gruppe (29 Frauen) sollte im Zusammenhang mit ihren Beckenbodenübungen mit Kegeln entweder selbst oder mit Hilfe ihres Partners einen Orgasmus herbeiführen. In beiden Gruppen war das Durchschnittsalter etwa 30 Jahre. Jeden Monat wurde dann über ein halbes Jahr hinweg die Muskelkraft des Beckenbodens und die sexuelle Zufriedenheit erhoben. Es kam, wie es kommen musste: Die Frauen der Gruppe 2 konnten bei den Messungen ihren Beckenboden stärker anspannen, sie konnten besser relaxieren/entspannen und sie fühlten sich sexuell zufriedener. 

Wer genauer hinschaut, liest dann aber, dass man nur jene Frauen für eine Teilnahme an der Studie ausgewählt hatte, die ohnehin nach ihrer Geburt Sex hatten und die ihre vaginalen Geburten unkompliziert überstanden hatten – also eigentlich zwei Gruppen, die ohnehin keine Schwierigkeiten hatten. Jene mit Beckenbodenverletzungen waren von der Studie ausgeschlossen worden. Was lernen wir daraus: Wer ohnehin Sex nach der Geburt haben kann, weil ihr nichts weh tut, weil es keine schlecht verheilten Narben gibt, weil es keine anderen Beckenbodenschäden gab, die den Sex problematisch machen, diejenige kann mit gezielt herbei geführten Orgasmen ihren Beckenboden noch stärker machen. Wer aber harninkontinent ist, wem die Harnblase in die Scheide drückt, wer Stuhl verliert, wer Schmerzen hat, wer eben untenrum nicht unversehrt ist, ja diejenige kann leider von den Orgasmusübungen nicht profitieren, sorry.

Das ist wieder eine dieser Studien, die so tun, als könnte man mit ein paar zusätzlichen Sexübungen den Beckenboden wieder fit machen. Aber das funktioniert nur dann, wenn er gar nicht gelitten hat. Dass just das laut Angaben derer, die die Studie durchführten, nun das Beckenbodentraining nach der Geburt revolutionieren soll – da einfach zuhause durchführbar – will schon gar nicht einleuchten. In einer Übersicht zum Thema Sexualstörungen nach einer Geburt schreiben andere, dass sexuelle Dysfunktionen in den Monaten nach der Geburt bei 41-83% der Frauen vorkommen, dass sogar bis 1,5 Jahre nach der Geburt der Faktor “sexual pleasure” zu wünschen übrig lasse, ebenso die emotionale Zufriedenheit. Die Betroffenen klagen über geringere Zufriedenheit in allen Domänen – sie haben Schmerzen beim Sex, sie werden nicht so feucht, wie das gut wäre, sie erreichen den Orgasmus seltener als vor der Schwangerschaft, sie verlieren die Lust. Ganz überdurchschnittlich oft manifestieren sich sexuelle Probleme bei jenen Frauen, deren Beckenboden geschädigt worden ist. So sind höhergradige Dammrisse, wenn also die Darmschließmuskeln verletzt worden sind, hierfür besondere Risikofaktoren und verunmöglichen Sex überdurchschnittlich oft: Wer das erleidet, hat mehr Schmerzen beim Sex und ist – oh Wunder – fünfmal seltener sexuell aktiv. Aber die sollen schließlich auch nicht bei den Orgasmusübungen mitmachen, die wurden schließlich ausgeschlossen. Fasst man es bewusst überspitzt zusammen, so lässt sich sagen: Wer keine nennenswerten Verletzungen erleidet, wer die Geburt mit intaktem, funktionstüchtigen Beckenboden übersteht, der hat es leichter, wieder sexuell aktiv zu sein und wenn er das ist, trainiert er einen Beckenboden, der das weniger nötig hat als ein anderer, der so nicht trainieren kann.

Wäre das, was das über die Auffassung von Beckenbodenschäden aussagt, nicht so traurig, könnte man darüber lachen, wie sehr sich hier Forschende blamieren. Aber genau solche dummen Studien greifen jenen Gruppen auf, die so tun, als wäre mit ein paar schlichten Übungen alles getan. Ich warte schon auf das Statement einer Geburtsexpertin, die dann sagt: “Habt’ doch einfach ein paar Orgasmen mehr, dann wird der Beckenboden wieder stark, so einfach kann die Rehabilitation nach einer Geburt sein, ich habe das in einer Studie gelesen”.

Quellen: 

  1. Bhat GS, Shastry A. Sexually Induced Orgasm to Improve Postpartum Pelvic Floor Muscle Strength and Sexual Function in Primiparous Women After Vaginal Delivery: A Prospective Randomized Two-Arm Study. J Sex Med. 2022 Nov;19(11):1634-1643. doi: 10.1016/j.jsxm.2022.08.189.
  2. Gutzeit O, Levy G, Lowenstein L. Postpartum Female Sexual Function: Risk Factors for Postpartum Sexual Dysfunction. Sex Med. 2020 Mar;8(1):8-13.