Jede Frau, jede Schwangere, jeder werdende Vater, jeder der will oder nicht will, bekommt es zu hören: Wenn ein Kind durch den Geburtskanal natürlich geboren wird, ist das der perfekte Weg, denn nur so erhält es die wertvolle “Scheidentaufe” mit vaginalen Bakterien, die sein Immunsystem formen. Ohne diese Scheidentaufe ist ein Kind von vorneherein benachteiligt, so will es ein Mantra, dass Kaiserschnittgegner stets benutzen, wenn sie werdenden Müttern Angst machen wollen, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden. Oder aber sie denken vielleicht, der Kaiserschnitt könnte für die Schwangere besser sein, wollen aber die Sectiorate in ihrer Geburtsabteilung niedrig halten. Oder aber, sie glauben es wirklich, wider besseres Studienwissen.
Was wir bisher sagen konnten war, dass Geschwisterstudien Folgendes zeigen: Es ist in punkto Immunsystem egal, wie wir geboren werden, ob per Kaiserschnitt oder vaginal (hier im Blog belegt und nachlesbar, bitte scrollen). Denn bei Geschwisterkindern, von denen eines per Kaiserschnitt und das andere durch die Scheide / durch die Vagina geboren wurde, gibt es in dieser Hinsicht keine Unterschiede, die durch die Geburtsform erklärt werden könnte. Die Risiken werden im Wesentlichen durch Veranlagung bestimmt – und durch das Stillverhalten. Mütter geben ihre nützlichen Bakterien weiter, nicht zwangsläufig nur durch ihren Geburtskanal. Diese Erkenntnis war längst überfällig, hier kommt die Studie dazu.
Debby Bogaert verbindet zwei Forschendengruppen, die sich sowohl am Wilhelmina Children’s Hospital an der Universitätsklinik in Utrecht als auch am Queen’s Medical Research der Universität Edinburgh mit der Entwicklung des Immunsystems von Neugeborenen und ihres Mikrobioms befasst haben. Das Mikrobiom meint die Vielzahl aller Mikroorganismen, die uns besiedeln, innen im Darm und außen auf der Haut zum Beispiel. Speziell das Mikrobiom des Darmes, die Darmflora, beherbergt die Mehrzahl unserer Immunzellen. Kein Wunder, dass die Zusammensetzung dieser Darmflora über unsere Abwehrkräfte, über Allergien und Autoimmunkrankheiten, ein Wörtchen mitzureden hat. Wir wissen, dass Mütter dem Neugeborenen wichtige Impulse zum Aufbau des eigenen Mikrobioms geben. Aber tun sie diese nur über die Scheide oder Darmbakterien, mit denen ein vaginal geborenes Kind erstmal in Kontakt kommt? Nein! Sie tun es auf vielfältigen Wegen, wie das aus niederländischen und schottischen Forschenden zusammengesetzte Wissenschaftlerteam herausfand.
Sie haben Informationen von 120 Geburten ausgewertet, bei 120 Mutter-Kind-Paaren Proben genommen: bei den Müttern aus dem Nasen-Rachen-Raum, dem Speichel, der Muttermilch, der Haut, dem Vaginalsekret und aus dem Stuhl – kurz vor und bis zu einen Monat nach der Geburt. Bei den Neugeborenen wurden Abstriche vom Nasen-Rachenraum, Speichel, der Haut und aus Stuhlproben entnommen. Mit Hilfe von Spezialuntersuchungen konnten sie verlässlich prüfen, welche der Mikroorganismen direkt von der Mutter zum Kind weitergegeben wurden. Im Durchschnitt stammt die Zusammensetzung der Mikroorganismen zu 58,5 Prozent von der Mutter – und das ist ganz unabhängig von der Entbindungsmethode so. Warum: Weil es nicht nur die Scheidenflora und nicht nur durch den Weg durch den Geburtskanal gelingt, an dem Mikrobiom der Mutter teilzuhaben. Es gibt auch noch Hautkontakt, Küsse, Schmusen, Streicheln – und vor allem das Stillen, also die Muttermilch als Überträger. Wie wichtig dies ist, wusste man zwar schon, jetzt aber wird es noch einmal auf diesem Weg bekräftigt. Kaiserschnittkinder bekommen zwar weniger über die Scheide und aus dem Stuhl mit, dafür umso mehr aus der Muttermilch. Umso wichtiger wäre es, gerade bei Kaiserschnittgeburten das Stillen zu fördern, so die Studienautorin Bogaert.
Prof. Dr. med. Bernhard Resch, Stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz in Österreich wurde nach seiner Einschätzung gefragt, was diese Studie bedeutet und befindet: Der Weg der Mikroben über die Milch zum Kind dürfe als bewiesen gelten und für ihn macht das auch absolut Sinn: “Es wäre auch von der Natur sicher nicht vorgesehen, nur einen Besiedlungsweg einzuplanen. Und es erscheint mir sehr viel attraktiver, nach einem Kaiserschnitt das Kind an den Busen zu legen als ihm mit einem Vaginalsekret-getränkten Tuch ins Gesicht zu wischen.” Und weiter betont er: „Es ist für mich sehr plausibel, dass der Mikroben-Transfer zwischen Mutter und Kind auf mehreren Wegen stattfindet. Damit wird die besonders bei akuter Gefährdung des Kindes notwendige Kaiserschnittgeburt wieder in das rechte Licht gerückt. Umso mehr muss nach Kaiserschnitt das Stillen unterstützt und gefördert werden.”
Ähnlich positiv äußert sich Prof. Dr. med. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg: “Die Daten zeigen, dass Kaiserschnitt-Kinder sehr stark vom Stillen profitieren, und viel schneller das mütterliche Mikrobiom annehmen als vaginal entbundene Kinder. Und das viele Kuscheln, also der Kontakt mit der Haut der Mutter, sodass das Mikrobiom auf das Kind übertragen wird, sorgt für eine höhere Diversität dieses reifenden Ökosystems, die auch wieder schützend ist. Es wäre interessant, zu untersuchen, ob die Kinder, die viele Kuschel- und Stilleinheiten hatten, dann später unter anderem auch weniger Asthma entwickeln.“ Nur, dass es nicht überlesen wird: Kaiserschnittkinder nehmen viel schneller das mütterliche Mikrobiom an als vaginal entbundene Kinder. Ein Punkt mehr, den es hervorzuheben gilt, wenn Kaiserschnittkindern wieder einmal Nachteile durch fehlende Mikrobiomformung angedichtet werden. Der Kinderarzt zieht als Konsequenz: „Mütter beziehungsweise Eltern von Kaiserschnitt-Kindern fragen sich häufig, ob sie für das Kind etwas tun können, um ihm und seinem Mikrobiom zu helfen. Die Studie liefert eine erste positive Nachricht, die wir den Frauen nach Geburt tatsächlich auch immer mitgeben: viel Kuscheln, viel Stillen.” In jedem Fall können wir Kaiserschnitt-Eltern mitgeben: Euer Kind ist durch die Art der Geburt nicht benachteiligt, egal was so genannte Expertinnen und Experten sagen, die ihnen diese Geburt madig machen wollen, weil sie ideologisch verbohrt sind.
Noch eine Anmerkung: Inzwischen wollen manche Fachpersonen das Wort “Scheide” nicht mehr verwenden, statt dessen nur noch Vagina. Ich denke, es ist so eingebürgert, dass ich es doch noch benutze. Der englisch-amerikanische Sprachraum hat es wie immer einfacher, hier ist “vagina” auch in der Umgangssprache üblich.
Quellen:
- Bogaert D, van Beveren GJ, de Koff EM, et al.: Mother-to-infant microbiota transmission and infant microbiota development across multiple body sites. Cell Host Microbe. 2023 Mar 8;31(3):447-460.e6. doi: 10.1016/j.chom.2023.01.018.
- Wichtige Stellungnahmen von Experten hier: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/mikrobiomuebertragung-von-mutter-auf-kind/