Wenn es gilt, eine vaginale Geburt gegen einen Kaiserschnitt abzuwägen – weil das Kind sehr schwer, die Schwangere schon älter ist – dann sollte ein Beckenbodenschaden nicht leichtfertig in Kauf genommen werden, nur weil damit ein OP-Risiko vermieden wird. Denn viele Frauen fürchten sich vor einem Kaiserschnitt, weil es eine Bauchoperation, ein chirurgischer Eingriff ist, den sie vermeiden wollen. Aber das ist nur vermeintlich so. Denn es wird kein OP-Risiko vermieden, wenn ein Beckenbodenschaden wahrscheinlich ist. Es wird vielmehr ein OP-Risiko für andere Operationen in Kauf genommen, zum Teil für mehrere. Vaginale Geburten sind nämlich der Hauptgrund, warum eine Frau eine “Unterleibsoperation” benötigt. Das können Senkungsoperationen – medizinisch Deszensusoperationen – sein. Das können Eingriffe sein, die die Kontinenz für Urin wieder herstellen, es können Operationen mit oder ohne Netz sein, es können Operationen mit Entfernung der Gebärmutter oder ohne sein – es sind jedoch immer Operationen, die exklusiv nur wegen einer früheren vaginalen Geburt notwendig geworden sind. Dies ist das Ergebnis einer schwedischen Studie, die drei große Register ausgewertet hat. Ein weiteres Ergebnis war, dass der Kaiserschnitt offenbar vor solchen Operationen bewahrt. Das Risiko, nach einem Kaiserschnitt diese Art von Eingriff über sich ergehen lassen zu müssen, war verschwindend gering und nicht höher als das einer Frau, die nie schwanger war. Wir müssen künftig umdenken und umformulieren: Die vaginale Geburt bewahrt keineswegs vor einem Operationsrisiko, der Kaiserschnitt bewahrt hingegen zuverlässig vor Beckenbodenschäden.

Junge Frauen haben heutzutage in Deutschland eine Lebenserwartung von gut 90 Jahren. Wenn wir also Operationen vermeiden wollen, müssen wir langfristig denken. Viele Schwangere gehen mit einem hohen Risiko für Beckenbodenschäden in eine Geburt. Wenn man klein ist als Frau und eine ältere Erstgebärende, wenn der Mann vielleicht deutlich größer ist, das Kind schwer, das Bindegewebe schwach und schon die Mutter früh unter Organsenkungen oder Inkontinenz gelitten hat, dann ist die Gefahr, nicht unversehrt aus einer vaginalen Entbindung hervorzugehen sicher sehr hoch. “Ja aber, der Kaiserschnitt ist doch ein Bauchschnitt, ist doch eine große Operation” – diesen Satz höre ich oft, weil Schwangere ihn oft von anderen hören, die ihnen davon abraten wollen. Wenn ich dann erläutere, dass man jedoch mit einem Beckenbodenschaden ebenfalls ein Operationsrisiko eingeht, mitunter sogar mehrere Operationen benötigt (und dann immer noch nicht genauso wiederhergestellt ist, wie es früher war), erkennt man, dass die meisten über diese Zusammenhänge noch nicht nachdenken konnten, weil sie niemand darüber aufgeklärt hat.

Deshalb will ich als Beleg eine Studie anführen, die extrem gut gemacht ist und die Problematik gut verdeutlicht. Die Qualität der Daten verwundert nicht, denn diese Veröffentlichung stammt schließlich aus dem Team von Maria Gyhagen, die seit langem in großen Langzeitbeobachtungen erforscht, welche lebenslange Bürde vaginale Geburten für so manche Frau bedeuten. In diesem Fall hat die Arbeitsgruppe geschaut, ob und wie Frauen geboren hatten, die jenseits eines Alters von 45 eine Operation wegen Urininkontinenz erhielten oder eine, um Organsenkungen im Beckenboden, also Prolapsbeschwerden zu beheben. Die Zeitspanne, aus der die Daten einflossen, lag zwischen 2010 und 2017. 39617 Frauen erhielten in dieser Zeit eine Prolapsoperation, 20488 eine, um wieder ihren Urin halten zu können. Was dabei herauskam, sollte jeder Frau zu denken geben: 97,8 % hatten mindestens eine vaginale Entbindung gehabt. 0,4% hatten mindestens einen Kaiserschnitt (oder mehr, aber jedenfalls keine vaginale Entbindung) und 1,9% dieser Frauen waren nie schwanger gewesen.

Den größten Unterschied gab es bei Senkungsoperationen: Wer vaginal entbunden worden war, hatte ein 23fach höheres Risiko, mindestens eine Prolapsoperation zu benötigen. Jede weitere vaginale Geburt machte es wahrscheinlicher, dass man eine Prolaps- oder Kontinenzoperation brauchen würde. Die Schlussfolgerung der Autorinnen und Autoren lautet: “Surgery for urinary incontinence and prolapse was almost exclusively related to vaginal parity. The risk for prolapse surgery increased consistently with parity after vaginal births but not after cesarean delivery, whereas the risk associated with cesarean delivery was on par with that of nulliparous women. Thus, cesarean delivery seems to offer protection from the need for pelvic organ prolapse and stress urinary incontinence surgery later in life.” Eine weitere Formulierung ist noch etwas provokanter: Der Kaiserschnitt scheint den Beckenboden in einem Zustand zu erhalten, als hätte eine Frau nie geboren – und zwar auf lange Sicht, sprich bis ins Alter. Man hat sich oft über die griffige Formulierung lustig gemacht, die als Folge einer Umfrage in einem Beckenbodenzentrum der USA Karriere machte: “Take a caesarean, preserve your love channel” – aber genau das stimmt. Der Kaiserschnitt lässt den Beckenboden in vieler Hinsicht unversehrt, auch in dieser.

Muss man mehr wissen? Mal wieder zeigt sich, dass das Alter gerade nicht die schützenden Effekte des Kaiserschnitts für den Beckenboden zunichte macht. Das hatte Gyhagen und ihr Team schon früher gezeigt – ältere Frauen haben nach ausschließlichen Kaiserschnittgeburten extrem seltener Beckenbodensymptome als Frauen, die nur eine oder mehrere vaginale Geburten hinter sich haben. Aber das gilt eben nicht nur für Symptome oder Beschwerden, es gilt auch für Operationen – man erspart sie sich, wenn bei Geburt die Gefahren für den Beckenboden ernst genommen werden, wenn man ihn schützt, oder wenn man bei unglücklichem Verlauf doch lieber rechtzeitig einen Kaiserschnitt macht.

Bei der Bilanz von Gyhagen ist noch gar nicht eingeflossen, wie viele Frauen wegen Verletzungen der Darmschließmuskulatur weitere Operationen benötigen. Das betrifft nicht nur das Zusammennähen der gerissenen Schließmuskeln. Das betrifft auch Operationen, mit denen ein Kästchen zur Elektrostimulation der Schließmuskelnerven in den Rücken eingepflanzt wird. Solche Eingriffe sind inzwischen häufiger als die Wiederherstellung am Darm selbst. Man sieht also, dass es sich lohnt, vorzusorgen und bei hohen Risiken für den Beckenboden diese Folgemaßnahmen alle zu bedenken.

Eine Nebenbemerkung möchte ich noch aufgreifen: In dieser Arbeit wird erwähnt, dass Frauen, die keine Kinder haben, viel öfter eine Gebärmutterentfernung nötig haben als Frauen, die geboren haben, ob vaginal oder per Kaiserschnitt (diese OPs kommen bei den kinderlosen Frauen noch in die Liste mit hinein). Das hängt damit zusammen, dass das Risiko, an Gebärmutterwucherungen zu erkranken, für diejenigen Frauen höher ist, die kinderlos sind. Früher lautete dazu der medizinische Merkspruch: “Eine Gebärmutter, die keine Früchte getragen hat, schießt ins Kraut.” Ein unschöner Spruch, wie viele alte Medizinersprüche, aber er verdeutlicht, dass schwanger sein, Kinder bekommen, vor allem sie zu stillen – Mutterschaft insgesamt – erhebliche gesundheitliche Vorteile für eine Frau mit sich bringt. Sie sollte diese mit einem intakten Beckenboden bis ins hohe Alter genießen dürfen.

Quelle: Larsudd-Kåverud J, Gyhagen J, Åkervall S, Molin M, Milsom I, Wagg A, Gyhagen M. The influence of pregnancy, parity, and mode of delivery on urinary incontinence and prolapse surgery-a national register study. Am J Obstet Gynecol. 2023;228(1):61.e1-61.e13.   https://www.ajog.org/article/S0002-9378(22)00591-9/fulltext