von Martina Lenzen-Schulte | Jan. 13, 2025
“Was du nicht willst, dass dir geschicht, das tu auch keinem andern nicht” – so geht ein alter ethischer Leitspruch und es ist eigentlich immer eine Probe aufs Exempel bei Ärztinnen und Ärzten, wenn man schaut, was sie selbst machen oder was sie für ihre Liebsten bevorzugen. So habe ich vor vielen Jahren schnell verstanden, dass Augenlasern wegen Kurzsichtigkeit keine gute Idee ist, als offenbar wurde, wie selten die in der Ophthalmologie Tätigen das wegen der Komplikationen an sich selbst machen ließen. Was soll man also davon halten, wenn die gynäkologische Fachwelt in den öffentlichen Medien und auf Medizinkongressen den Kaiserschnitt nach wie vor als “second best” darstellen und davon abraten, wenn sie bei Umfragen theoretisch damit antworten, sie bevorzugten auch für sich selbst eine natürliche Geburt, aber die Fakten das nicht hergeben: “We know the reality of childbirth” – so ist ein Artikel in der renommierten Zeitung “The Guardian” überschrieben – und darin wird die Frage gestellt: “Was wissen sie, was wir nicht wissen?”.
Ich bin zufällig beim Recherchieren auf diesen Text gestoßen. Er ist schon älter, dennoch möchte ich darauf aufmerksam machen, weil es kaum so eindeutige und ehrliche Auskünfte darüber gibt, was die gynäkologische Zunft propagiert und Frauen rät, woran sie sich aber selbst oft nicht hält. Es ist ein Zeitungsartikel, in dem befragte Frauenärztinnen offen darüber sprechen, woher diese Diskrepanz kommt: Sie fürchten sich vor Beckenbodenschäden und sie wünschen sich größtmögliche Sicherheit für ihr Baby. Wer nach wissenschaftlicher Bestätigung fahndet, wird ebenfalls fündig und erfährt: Fachleute, die sich mit Geburten auskennen, halten sich nicht an ihre eigenen Ratschläge, wenn es um die Frage Kaiserschnitt oder natürliche Geburt geht. Das ist wichtig zu wissen, wenn man in Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln oder in Fernsehbeiträgen die Empfehlungen so mancher “Expertin” liest oder hört. Wenn es dort etwa heißt, die natürliche Geburt sei das Beste für das Kind, dann müsste man fragen, warum dann überdurchschnittlich viele Ärztinnen sich dennoch nicht dafür entscheiden.
Nicht zuletzt: Ich spreche regelmäßig mit von Beckenbodenschäden betroffenen Frauen und diese sprechen mit Ärztinnen und Gynäkologinnen. Die Opfer aus dem Kreißsaal stellen denen immer öfter die Frage, wie Frau Dr. denn ihre Kinder zur Welt gebracht habe. Es kommt vor, dass die Ärztin nach den Beckenbodenschaden ihrer Patientin tastet und währenddessen bekennt, dass sie per Kaiserschnitt entbunden hat. Die Frauen berichten mir, dass sie sich in solchen Situationen betrogen fühlen und sind zu Recht empört: Zu dem Schaden kommt die Erkenntnis, dass die eigene Ärztin es besser wusste und anders entschieden hat.
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von Martina Lenzen-Schulte | Jan. 1, 2025
Ich wünsche den Leserinnen und Lesern des Blogs alles erdenklich Gute für das Jahr 2025. Ich darf gleich eine hoffnungsfroh stimmende Nachricht übermitteln – es gibt vermehrte Anstrengungen, die Situation der von Beckenbodenschäden Betroffenen zu verbessern. Hier ein Aufruf eines Expertenteams von deutschen Urogynäkologinnen und Urogynäkologen zur Mithilfe. Ich bitte alle, die selbst betroffenen sind, herzlich, hier zu unterstützen. Das kann sofort oder auch noch Wochen später sein. Ich würde updaten, wenn die Aktion beendet ist. Es ist so wichtig diejenigen, die sich um Verbesserungen bemühen, durch möglichst viel Feedback zu motivieren, sich weiter zu engagieren. Viele Betroffene kennen die Unterzeichnenden. Es wurde extra eine Email-Adresse eingerichtet, damit man einfach antworten kann. Frauen, die mitmachen möchten, können nur die 5 Fragen beantworten, oder nur eigene Fragen formulieren, oder beides, oder zusätzlich den Fragebogen durchgehen.
Und PS: Aufgrund etlicher Nachfragen aus der Facebookgruppe möchte ich bekräftigen, dass es sich um eine absolut seriöse Adresse handelt. Viele kennen die hier verantwortlichen Urogynäkologinnen und Urogynäkologen bereits mit Namen. Insofern sollte man sich nicht von der gmx Mailadresse abschrecken lassen.
Liebe von Beckenboden-Schäden nach Geburt betroffene Patientinnen,
wir wenden uns hier mit einer Aktion zur Verbesserung der Versorgung von Beckenbodenpatientinnen direkt an Sie alle. Es ist eminent wichtig, Ihre Bedürfnisse genau zu verstehen – und dies geht am besten, wenn Sie selbst Ihre Beschwerden schildern. Unser Ziel ist es, mit Hilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse die vorhandenen Therapien besser einzusetzen – und nicht zuletzt, neue Behandlungsverfahren zu entwerfen.
Seit vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass sich vaginale Geburten auf den weiblichen Beckenboden auswirken. Dank der Forschungsanstrengungen der letzten Jahrzehnte kamen zahlreiche neue Erkenntnisse hinzu. Unter anderem stehen Defekte an der Muskulatur des Beckenbodens im Fokus, die durch Bildgebung (Magnetresonanz-tomografie/Kernspin oder 3D-Ultraschall) sichtbar gemacht werden können.
In den letzten Wochen haben wir uns als Projektgruppe der Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenrekonstruktion (AGUB) im deutschsprachigen Raum ausgetauscht und beschlossen, die Anstrengungen für weitere Forschungsvorhaben zu bündeln. Wir möchten Ihnen als Betroffene ein erstes, wichtiges Projekt vorstellen, für das wir Ihre Mithilfe benötigen: Es geht darum, die Diagnostik und die Aussagekraft von Fragebögen zu verbessern. Hier gibt es bereits etablierte Fragen nach Beeinträchtigungen etwa durch Harn- und Stuhlinkontinenz, Senkungs- bzw. Prolaps-Beschwerden und den Auswirkungen auf die Sexualität (s. Link zum Beckenbodenfragebogen unten). Jetzt möchten wir mit dem neuen Projekt herausfinden, ob wir einige Fragen nach Funktionsstörungen der Beckenbodenmuskulatur (unter anderem des Levators) eventuell exakter oder ganz neu formulieren sollten. Die von uns nachfolgend vorgeschlagenen Fragen (deren Aussagekraft wir dann in weiteren Schritten überprüfen wollen) lauten so:
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von Martina Lenzen-Schulte | Nov. 13, 2024
Wenn es gilt, eine vaginale Geburt gegen einen Kaiserschnitt abzuwägen – weil das Kind sehr schwer, die Schwangere schon älter ist – dann sollte ein Beckenbodenschaden nicht leichtfertig in Kauf genommen werden, nur weil damit ein OP-Risiko vermieden wird. Denn viele Frauen fürchten sich vor einem Kaiserschnitt, weil es eine Bauchoperation, ein chirurgischer Eingriff ist, den sie vermeiden wollen. Aber das ist nur vermeintlich so. Denn es wird kein OP-Risiko vermieden, wenn ein Beckenbodenschaden wahrscheinlich ist. Es wird vielmehr ein OP-Risiko für andere Operationen in Kauf genommen, zum Teil für mehrere. Vaginale Geburten sind nämlich der Hauptgrund, warum eine Frau eine “Unterleibsoperation” benötigt. Das können Senkungsoperationen – medizinisch Deszensusoperationen – sein. Das können Eingriffe sein, die die Kontinenz für Urin wieder herstellen, es können Operationen mit oder ohne Netz sein, es können Operationen mit Entfernung der Gebärmutter oder ohne sein – es sind jedoch immer Operationen, die exklusiv nur wegen einer früheren vaginalen Geburt notwendig geworden sind. Dies ist das Ergebnis einer schwedischen Studie, die drei große Register ausgewertet hat. Ein weiteres Ergebnis war, dass der Kaiserschnitt offenbar vor solchen Operationen bewahrt. Das Risiko, nach einem Kaiserschnitt diese Art von Eingriff über sich ergehen lassen zu müssen, war verschwindend gering und nicht höher als das einer Frau, die nie schwanger war. Wir müssen künftig umdenken und umformulieren: Die vaginale Geburt bewahrt keineswegs vor einem Operationsrisiko, der Kaiserschnitt bewahrt hingegen zuverlässig vor Beckenbodenschäden. (mehr …)
von Martina Lenzen-Schulte | Okt. 27, 2024
Heute möchte ich meinem Entsetzen Ausdruck verleihen. Meinem Entsetzen darüber, was Geburtshelfende immer noch nicht wissen. Entweder weil sie sich nicht fortbilden, oder weil sie so schwer von Begriff sind oder weil sie sich weigern, es zur Kenntnis zu nehmen. Schwer zu sagen, was schlimmer wäre. Wer diesen Blog liest, weiß längst, was der Levator ist und was er für ein Frauenleben bedeutet. Auf dem letzten Kongress für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Mitte Oktober 2024 stattfand, gab es eine ganze Sitzung eigens über den Levator-Muskel – darüber gibt es einen Bericht im Deutschen Ärzteblatt, frei im Netz, für jeden, jede zugänglich (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/155152/Wenn-der-wichtigste-Beckenbodenmuskel-bei-der-Geburt-reisst). Die Sitzung zeigte, dass sehr viele Frauen bei vaginalen Geburten gefährdet sind, eine Levator-Avulsion, einen Abriss des Muskels, zu erleiden, dass man ihnen kaum Therapien anbieten kann und dass sie folglich ein Leben lang damit klar kommen müssen, eine wichtige Stütze im Beckenboden verloren zu haben. Es gibt gefühlt zig Fachartikel, die für Frauenärzte und Frauenärztinnen in Fachzeitschriften zu diesem Thema veröffentlicht worden sind. Und doch erhält eine Patientin, die nach einer vaginalen Geburt massive Beschwerden hat, die in ihre Geburtsklinik zurückgeht, weil sie Rat sucht und fragt, ob es sich bei ihr um einen Levator-Abriss handeln könne, folgenden Satz als Antwort: “Der kann doch gar nicht abreißen”. Mein erster Gedanke, als ich das hörte, war: “Der dürfte doch gar nicht in der Geburtshilfe arbeiten”. Als Arzt zu sagen, der Levator könne nicht reißen, ist etwa so dumm, falsch und ignorant, wie als Elektriker zu sagen, man könne vom Strom keinen Stromschlag bekommen. Soviel als Begründung, warum ich entsetzt bin.
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von Martina Lenzen-Schulte | Aug. 29, 2024
Es geschieht selten genug, dass über Versäumnisse bei Geburten die Staatsanwaltschaft tätig wird, aber manchmal ist die Nachlässigkeit gegenüber den Frauen so groß, dass Verantwortliche auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Mehrere überregionale Medien berichteten aufgrund einer Presseagenturmeldung von dpa jetzt über Ermittlungen in Traunstein gegen eine ehemalige Chefärztin der Klinik Wasserburg. Dort wurden in Räumen der RoMed-Kliniken in Rosenheim und Wasserburg nach Belegen und Beweisstücken gefahndet. Was aufhorchen lässt, ist ein wichtiger Hinweis auf eine bekannte Strategie -die Vermeidung von Kaiserschnitten um buchstäblich jeden Preis. Schon im Eingangstext des Berichtes heißt es: “Es besteht der Verdacht, nötige Kaiserschnitte könnten nicht vorgenommen sein worden. In einem Fall geht es um fahrlässige Tötung.” Eine tödliche Kaiserschnittvermeidungs-Ideologie hat im Königreich England im Zusammenhang mit dem Morecambe Bay Skandal Schlagzeilen gemacht. Das hat nicht zuletzt zu einer rigorosen Infragestellung einer Geburtspolitik geführt, die die natürliche Geburt immer noch und gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis stets als das Beste verteidigt – koste dies die Mütter und die Kinder, was es wolle.
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