Studie zeigt: Frauen mit Beckenbodenschäden nach Geburt werden abgewimmelt und in ihrer Not allein gelassen

Wenn Frauen, die nach einer natürlichen Geburt erkennbar schlimme Verletzungen am Beckenboden davon getragen haben, sich mit ihren Sorgen und Nöten abgewiesen und abgelehnt fühlen, haben sie Recht. Es handelt sich eben nicht um überzogene Empfindlichkeit, es ist nicht neurotisch und der Grund ihrer Beschwerden liegt nicht an der Unfähigkeit, mit den Folgen einer Geburt richtig umzugehen. Es ist vielmehr falsch, dass das medizinische System sie nicht ernst nimmt. Jetzt haben wir es amtlich – wissenschaftlich beglaubigt.

Ein ebenso bewegender wie überfälliger Artikel zeigt nämlich nun mit dem Finger auf die Missstände: “Overlooked by the obstetric gaze” heißt der Titel (1). Die Bedürfnisse der Frauen werden verneint, man tut so, als sei das alles “normal”, sie erhalten nicht nur zu wenig Diagnostik und Therapie, auch mit Problemen am Arbeitsplatz – wenn sie wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung krank geschrieben werden müssen – lässt man sie allein. Jetzt kann man den Ärztinnen und Ärzten, die immer und immer wieder abwimmeln, einen Artikel vor die Nase halten, der beglaubigt, dass die Patientin, die sie so gerne los werden möchten, eigentlich Recht hat. (mehr …)

Der Levator-Abriss kommt bei natürlicher Geburt häufig vor und ist eine Hypothek für ein Frauenleben

Vor kurzem hat der international renommierte Beckenbodenforscher, Frauenarzt und Urogynäkologe John O. L. DeLancey mit seiner Pelvic Floor Research Arbeitsgruppe an der Michigan Universität in Ann Arbor eine sehr wichtige wissenschaftliche Übersicht über Beckenboden-Verletzungen unter vaginalen Geburten und ihre gravierenden Nachwirkungen für ein Frauenleben publiziert (1). Es geht vor allem um Levator-Avulsionen.  Der M. Levator ani stellt mit seinen drei Hauptanteilen – M. pubococcygeus, M. puborectalis und M. ileococcygeus – die wichtigste muskuläre Haltestruktur des Beckenbodens dar (Abb.). Er spannt sich gleichsam wie eine Hängematte von der Hinterseite der Schambeine bis zum Steißbein.

Bild mit Levator aniQuelle: DeLancey: Die Dehnung der Anteile des Levator ani unter der Geburt. Der Levatormuskel besteht aus mehreren Teilen, die hier in englischer Sprache bezeichnet sind. Man sieht auch schön den äußeren Schließmuskel, der den Darm abdichtet (external anal sphincter) Das Stück vom Anus bis nach oben zur Scheide, wo der Babykopf austritt, ist der Damm, der bei der Geburt ganz oder teilweise einreißen kann, zusätzlich kann der äußere (und seltener auch der hier nicht sichtbare innere) Darmschließmuskel reißen.

Als Levatoravulsion oder -teilavulsion bezeichnet man den vollständigen oder unvollständigen Abriss auf einer Seite rechts oder links neben der Innenseite der Symphyse, dort wo die beiden Schambeine am Beckenring zusammentreffen. Entscheidend ist, dass Frauen mit Levator-Avulsionen ein vierfach höheres Risiko haben, dass ihre Beckenorgane sich senken, sie also mit einem Gebärmuttervorfall, einer Blasensenkung oder einer Darmsenkung zu kämpfen haben. Operationen, die das wieder beheben sollen, scheitern zwei-bis zweieinhalbfach öfter, wenn der Levator abgerissen ist. Warum Frauenärzte sich damit befassen sollen, habe ich in einem aktuellen Artikel in der deutschen Fachzeitschrift “Frauenarzt” erläutert (2).

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Von wegen Scheidentaufe bei Geburt – ein Mythos wird entzaubert

Jede Frau, jede Schwangere, jeder werdende Vater, jeder der will oder nicht will, bekommt es zu hören: Wenn ein Kind durch den Geburtskanal natürlich geboren wird, ist das der perfekte Weg, denn nur so erhält es die wertvolle “Scheidentaufe” mit vaginalen Bakterien, die sein Immunsystem formen. Ohne diese Scheidentaufe ist ein Kind von vorneherein benachteiligt, so will es ein Mantra, dass Kaiserschnittgegner stets benutzen, wenn sie werdenden Müttern Angst machen wollen, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden. Oder aber sie denken vielleicht, der Kaiserschnitt könnte für die Schwangere besser sein, wollen aber die Sectiorate in ihrer Geburtsabteilung niedrig halten. Oder aber, sie glauben es wirklich, wider besseres Studienwissen.

Was wir bisher sagen konnten war, dass Geschwisterstudien Folgendes zeigen: Es ist in punkto Immunsystem egal, wie wir geboren werden, ob per Kaiserschnitt oder vaginal (hier im Blog belegt und nachlesbar, bitte scrollen). Denn bei Geschwisterkindern, von denen eines per Kaiserschnitt und das andere durch die Scheide / durch die Vagina geboren wurde, gibt es in dieser Hinsicht keine Unterschiede, die durch die Geburtsform erklärt werden könnte. Die Risiken werden im Wesentlichen durch Veranlagung bestimmt – und durch das Stillverhalten. Mütter geben ihre nützlichen Bakterien weiter, nicht zwangsläufig nur durch ihren Geburtskanal. Diese Erkenntnis war längst überfällig, hier kommt die Studie dazu. (mehr …)

Podcast zum Thema: Mutter werden und Frau bleiben

Liebe Blognutzerinnen und Blognutzer,

unlängst hatte ich Gelegenheit, an einer Podcast-Serie der Physiotherapeutin Sabine Meissner (Inside You) teilzunehmen, der Link führt dorthin: https://www.podcast.de/episode/617686733/interview-mit-dr-martina-lenzen-schulte

Diese Serie befasst sich in jeder Hinsicht differenziert mit dem Beckenboden. Sehr viele Menschen und Frauen, die sich professionell damit befassen, aber auch Betroffene kommen zu Wort. Das ist eine sehr gelungene Rundumschau.

Danke, dass wir so ausführlich sprechen konnten, ich durfte so viele Themen vorbringen. Oft sind Interviews in Fernseh- oder Rundfunkbeiträgen so kurz, dass man sich nicht mehr darin gespiegelt sieht. Hier ist das anders. Ich lade herzlich zum Reinhören und Zuhören ein.

 

SECTIO-ROT: Eine Fachfrau erklärt, was es mit einem Notkaiserschnitt auf sich hat

Erfahrungen aus der Praxis sind unbezahlbar. Ich danke Mareike Harder ausdrücklich, dass ich Ihren Beitrag hier teilen darf. Ich habe das zuerst auf “Die Risiken der vaginalen Geburt” auf Facebook gelesen und war ungemein beeindruckt. Aber Achtung Triggerwarnung, das ist zum Teil vielleicht nicht für jede Frau und nicht für jede Schwangere eine einfache Lektüre. Dennoch, wer wirklich informiert sein will, sollte sich das antun (vielleicht erst von jemand anderem lesen und dann berichten lassen).
Alle Frauen, die wegen Beckenbodenschäden keine weitere natürliche Geburt mehr wagen sollten, oder die wegen eindeutiger Risikofaktoren an einen Plan B denken, oder all jene, die sich aus anderen Gründen für einen Kaiserschnitt entschieden haben, sollten sich die hir so wunderbar erklärten Unterschiede zwischen einem geplanten Kaiserschnitt (die Medizin nennt ihn elektiv) und einem ungeplanten Kaiserschnitt (Notkaiserschnitt) ganz am Ende einer schlimmen Geburt klar machen, der eben auch lebensbedrohlich werden kann. 
Ganz entscheidend kommt es darauf an, Äpfel nicht mit Birnen zu verwechseln. Wen Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen in Kliniken den Frauen mit der “Drohung” Kaiserschnitt Angst einjagen, dann sollte man genau nachfragen, von welcher Art Kaiserschnitt sie reden. Wenn andere Frauen von ihren Erfahrungen mit einem Kaiserschnitt erzählen, sollte man genau nachfragen, welche Art Kaiserschnitt sie hatten. Wenn man in Zeitschriften vom Kaiserschnitt liest oder in Fernsehbeiträgen der Kaiserschnitt erwähnt wird, sollte man argwöhnisch werden, wenn nicht genau unterschieden wird zwischen der einen oder der anderen Variante. Frau Harder tut es im Folgenden anschaulich und ehrlich:

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