Ich bin Physiotherapeutin und hatte keine Ahnung!

Eigentlich sollte eine Frau, die eine anspruchsvolle Ausbildung in einem der wichtigsten Gesundheitsberufe – Physiotherapie – absolviert hat, gewappnet sein, wenn so ein wichtiges Ereignis wie eine Geburt ansteht. Eigentlich müsste „frau“ dann in ihrer Ausbildungszeit etwas über die Geburt, ihre  Risiken und ihre Spätfolgen gelernt haben. Von wegen: Ich bin Physiotherapeutin und ich hatte keine Ahnung! So saß ich ungläubig und abwesend den Urogynäkologinnen und Urogynäkologen gegenüber, als diese mir meine Diagnose verkündeten: Gebärmutter- sowie Blasensenkung! Ich bin 33 Jahre alt, ich habe einen Beruf, der mich körperlich fordert, ich weiß, wie wichtig physische Fitness und ein funktionierender Muskel- und Bindegewebsapparat sind. Und jetzt weiß ich, dass zentrale Stellen meines Körpers schon eine Schwäche aufweisen, die nur mit großer Disziplin in den Griff zu kriegen ist.

Wie es dazu kam:

(mehr …)

Levator-Abriss: Umso eher zu fürchten, je schwieriger die natürliche Geburt verläuft

Abrisse des wichtigsten Beckenbodenmuskels der Frau, des Levator ani, müssen umso eher gefürchtet werden, je komplizierter eine natürliche Geburt verläuft. Während bei einer normalen Vaginalgeburt reißt der Muskel bei rund 15 % der Schwangeren ab, auch dies ist schon ein hohes Risiko. Aber diese statistisch erwartbare Rate steigert sich auf 21 % bei Saugglockengeburten. Kommt die Geburtszange zum Einsatz, dann müssen sogar mehr als die Hälfte der Schwangeren fürchten, dass ihr Levator abreißt, nämlich 52 %. Ein Kaiserschnitt wirkt hingegen protektiv, er schützt vor solchen Abrissen: Hier haben lediglich 1 % der Gebärenden eine derartige Verletzung zu fürchten. Das ist das Ergebnis einer ersten umfassenden Übersichtsarbeit zu dieser Frage, die jetzt in einem der führenden internationalen Journale für Geburtshilfe erschienen ist.

(mehr …)

Der Kaiserschnitt ist kein Risikofaktor für Störungen des Immunsystems beim Kind

Immer wieder heben Kritiker der hohen Kaiserschnittraten darauf ab, dass ein Kaiserschnitt mit einem höheren Risiko für bestimmte Erkrankungen, zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, verbunden wäre. Dazu zählen zum Beispiel Diabtes-Typ-1 (also die Diabeteskrankheit, die durch Versagen der Bauchspeicheldrüse oft schon im Kindesalter entsteht), Multiple Sklerose, entzündliche Darmerkrankungen oder rheumatische Arthritis im Jugendalter. Das klingt natürlich bedrohlich für jene Mütter, deren Kind per Kaiserschnitt zur Welt gekommen ist. Aber es gibt – erneut muss man sagen – Entwarnung: Der Verdacht, eine Sectio könne das Risiko für solche Autoimmunkrankheiten des Babys erhöhen, bestätigt sich wieder einmal nicht. Er beruht auch nur auf einer bloßen Annahme, nämlich auf der Hypothese, das Immunsystem von Kaiserschnittkindern sei durch fehlenden Kontakt mit den Scheidenkeimen der Mutter beeinträchtigt. Denn sie seien eben nicht durch den Geburtskanal hindurch gekommen. Doch diese Hypothese ist nach wie vor umstritten.

(mehr …)

Verletzungen am Darmausgang: Sie kommen bei natürlichen Geburten immer öfter vor

Der Schrecken, den eine Krankheit verbreitet, ist immer relativ. Viele fürchten Demenz oder bösartige Tumore, andere eher dauerhafte Beeinträchtigungen durch einen Hirnschlag. Wenige Frauen kennen den Schrecken von Inkontinenzen, bis sie ihn selbst erdulden müssen. Denn der unwillkürliche, nicht kontrollierbare Verlust von Urin aus der Harnblase oder gar Stuhl aus dem Darm ist ein Tabu. Folglich sind Frauen in den besten Jahren – nach der Geburt eines Kindes – wie vom Donner gerührt, wenn sie plötzlich feststellen müssen, dass sie die Luft im Darm nicht mehr zurückhalten können oder gar Stuhl verlieren, ohne dass sie es merken. Sie kommen von einem Spaziergang mit dem Kind zurück und im Slip finden sich Spuren von Darminhalt. Solche Desaster können als Folge von Schließmuskelverletzungen des Darmausganges nach einer natürlichen Geburt auftreten. Diese Verletzungen nehmen seit Jahren deutlich zu. Es gibt Risikofaktoren dafür, die kennt die Fachwelt, aber die Frauen kennen sie oft nicht. Sie werden vor einer Geburt nicht darüber aufgeklärt. Die Fachwelt – Frauenärzt*innen und Hebammen – befürchten, das würde Panik machen. Ich hätte eher Angst davor, einer Frau ein Leben mit einem defekten Darmschließmuskel zuzumuten. Eine jüngste Studie macht klar: Diese Verletzungen nehmen seit Jahren zu, immer mehr Frauen sind betroffen. Welche Risiken es gibt, möchte ich in diesem Blogbeitrag erläutern.

(mehr …)

Universitätsmediziner wollen, dass Frauenärzte über Geburtsrisiken aufklären

Zum Beginn des Jahres 2021 ist ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Aufklärung über Geburtsrisiken erreicht: In der Zeitschrift “Frauenheilkunde und Geburtshilfe”, erschienen im Januarheft dieses Jahres, wurde von Ärzten und Wissenschaftlern der Universitätsklinik Tübingen ein für deutsche Frauen eminent wichtiger Artikel verfasst mit dem Titel: “Vaginale Geburt und Inkontinenz – ist eine Aufklärung über dieses Risiko vor Geburt zielführend?” Bis auf einige Punkte kann man sagen: Das ist ein Riesenschritt vorwärts. Denn die Tatsache, dass Vertreter einer Universitätsklinik diese Frage zum Thema machen, ist schon bemerkenswert. Es bedeutet nämlich, dass man einsieht, man kommt am Thema Beckenbodenschaden bei natürlichen Geburten nicht mehr vorbei. Da steht dann so ein Satz wie: “Mit der Möglichkeit einer temporären und anhaltenden Inkontinenz in Folge von geburtsassoziierten Beckenbodenverletzungen – insbesondere auch bei langen Geburtsverläufen und dem Einsatz vaginal-operativer Verfahren – muss diskutiert werden, ob die vaginale Geburt in jedem Fall den idealen Geburtsmodus darstellt.” Das ist nicht besonders schön formuliert aber richtig: Da bei einer natürlichen Geburt die reale Gefahr einer vorübergehenden oder gar bleibenden Blasenschwäche gegeben ist, muss (!) diskutiert werden, ob es in jedem Fall ideal ist, natürlich zu gebären. Und auch auf den folgenden Satz hat man in der deutschen Geburtshilfe lange warten müssen, aber jetzt steht er da – und kein Frauenarzt kann mehr sagen, er habe es nicht gewusst: “Die moderne personalisierte Medizin hat auch in der Geburtshilfe Einzug gehalten: In der Praxis begegnen Hebammen und Geburtshelfer mündigen Frauen, die im Sinne der Förderung einer möglichst selbstbestimmten Geburt bezüglich der Geburtsmodi umfassend aufgeklärt werden wollen, was die realistische Darstellung von möglichen Risken der vaginalen Geburt miteinschließen muss.” 

(mehr …)