von Martina Lenzen-Schulte | Nov 13, 2024
Wenn es gilt, eine vaginale Geburt gegen einen Kaiserschnitt abzuwägen – weil das Kind sehr schwer, die Schwangere schon älter ist – dann sollte ein Beckenbodenschaden nicht leichtfertig in Kauf genommen werden, nur weil damit ein OP-Risiko vermieden wird. Denn viele Frauen fürchten sich vor einem Kaiserschnitt, weil es eine Bauchoperation, ein chirurgischer Eingriff ist, den sie vermeiden wollen. Aber das ist nur vermeintlich so. Denn es wird kein OP-Risiko vermieden, wenn ein Beckenbodenschaden wahrscheinlich ist. Es wird vielmehr ein OP-Risiko für andere Operationen in Kauf genommen, zum Teil für mehrere. Vaginale Geburten sind nämlich der Hauptgrund, warum eine Frau eine “Unterleibsoperation” benötigt. Das können Senkungsoperationen – medizinisch Deszensusoperationen – sein. Das können Eingriffe sein, die die Kontinenz für Urin wieder herstellen, es können Operationen mit oder ohne Netz sein, es können Operationen mit Entfernung der Gebärmutter oder ohne sein – es sind jedoch immer Operationen, die exklusiv nur wegen einer früheren vaginalen Geburt notwendig geworden sind. Dies ist das Ergebnis einer schwedischen Studie, die drei große Register ausgewertet hat. Ein weiteres Ergebnis war, dass der Kaiserschnitt offenbar vor solchen Operationen bewahrt. Das Risiko, nach einem Kaiserschnitt diese Art von Eingriff über sich ergehen lassen zu müssen, war verschwindend gering und nicht höher als das einer Frau, die nie schwanger war. Wir müssen künftig umdenken und umformulieren: Die vaginale Geburt bewahrt keineswegs vor einem Operationsrisiko, der Kaiserschnitt bewahrt hingegen zuverlässig vor Beckenbodenschäden. (mehr …)
von Martina Lenzen-Schulte | Mrz 3, 2024
Jede Frau, jede Schwangere, jeder werdende Vater, jeder der will oder nicht will, bekommt es zu hören: Wenn ein Kind durch den Geburtskanal natürlich geboren wird, ist das der perfekte Weg, denn nur so erhält es die wertvolle “Scheidentaufe” mit vaginalen Bakterien, die sein Immunsystem formen. Ohne diese Scheidentaufe ist ein Kind von vorneherein benachteiligt, so will es ein Mantra, dass Kaiserschnittgegner stets benutzen, wenn sie werdenden Müttern Angst machen wollen, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden. Oder aber sie denken vielleicht, der Kaiserschnitt könnte für die Schwangere besser sein, wollen aber die Sectiorate in ihrer Geburtsabteilung niedrig halten. Oder aber, sie glauben es wirklich, wider besseres Studienwissen.
Was wir bisher sagen konnten war, dass Geschwisterstudien Folgendes zeigen: Es ist in punkto Immunsystem egal, wie wir geboren werden, ob per Kaiserschnitt oder vaginal (hier im Blog belegt und nachlesbar, bitte scrollen). Denn bei Geschwisterkindern, von denen eines per Kaiserschnitt und das andere durch die Scheide / durch die Vagina geboren wurde, gibt es in dieser Hinsicht keine Unterschiede, die durch die Geburtsform erklärt werden könnte. Die Risiken werden im Wesentlichen durch Veranlagung bestimmt – und durch das Stillverhalten. Mütter geben ihre nützlichen Bakterien weiter, nicht zwangsläufig nur durch ihren Geburtskanal. Diese Erkenntnis war längst überfällig, hier kommt die Studie dazu. (mehr …)
von Martina Lenzen-Schulte | Aug 9, 2023
Erfahrungen aus der Praxis sind unbezahlbar. Ich danke Mareike Harder ausdrücklich, dass ich Ihren Beitrag hier teilen darf. Ich habe das zuerst auf “
Die Risiken der vaginalen Geburt” auf Facebook gelesen und war ungemein beeindruckt. Aber Achtung Triggerwarnung, das ist zum Teil vielleicht nicht für jede Frau und nicht für jede Schwangere eine einfache Lektüre. Dennoch, wer wirklich informiert sein will, sollte sich das antun (vielleicht erst von jemand anderem lesen und dann berichten lassen).
Alle Frauen, die wegen Beckenbodenschäden keine weitere natürliche Geburt mehr wagen sollten, oder die wegen eindeutiger Risikofaktoren an einen Plan B denken, oder all jene, die sich aus anderen Gründen für einen Kaiserschnitt entschieden haben, sollten sich die hir so wunderbar erklärten Unterschiede zwischen einem geplanten Kaiserschnitt (die Medizin nennt ihn elektiv) und einem ungeplanten Kaiserschnitt (Notkaiserschnitt) ganz am Ende einer schlimmen Geburt klar machen, der eben auch lebensbedrohlich werden kann.
Ganz entscheidend kommt es darauf an, Äpfel nicht mit Birnen zu verwechseln. Wen Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen in Kliniken den Frauen mit der “Drohung” Kaiserschnitt Angst einjagen, dann sollte man genau nachfragen, von welcher Art Kaiserschnitt sie reden. Wenn andere Frauen von ihren Erfahrungen mit einem Kaiserschnitt erzählen, sollte man genau nachfragen, welche Art Kaiserschnitt sie hatten. Wenn man in Zeitschriften vom Kaiserschnitt liest oder in Fernsehbeiträgen der Kaiserschnitt erwähnt wird, sollte man argwöhnisch werden, wenn nicht genau unterschieden wird zwischen der einen oder der anderen Variante. Frau Harder tut es im Folgenden anschaulich und ehrlich:
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von Martina Lenzen-Schulte | Mai 28, 2021
Immer wieder heben Kritiker der hohen Kaiserschnittraten darauf ab, dass ein Kaiserschnitt mit einem höheren Risiko für bestimmte Erkrankungen, zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, verbunden wäre. Dazu zählen zum Beispiel Diabtes-Typ-1 (also die Diabeteskrankheit, die durch Versagen der Bauchspeicheldrüse oft schon im Kindesalter entsteht), Multiple Sklerose, entzündliche Darmerkrankungen oder rheumatische Arthritis im Jugendalter. Das klingt natürlich bedrohlich für jene Mütter, deren Kind per Kaiserschnitt zur Welt gekommen ist. Aber es gibt – erneut muss man sagen – Entwarnung: Der Verdacht, eine Sectio könne das Risiko für solche Autoimmunkrankheiten des Babys erhöhen, bestätigt sich wieder einmal nicht. Er beruht auch nur auf einer bloßen Annahme, nämlich auf der Hypothese, das Immunsystem von Kaiserschnittkindern sei durch fehlenden Kontakt mit den Scheidenkeimen der Mutter beeinträchtigt. Denn sie seien eben nicht durch den Geburtskanal hindurch gekommen. Doch diese Hypothese ist nach wie vor umstritten.
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von Martina Lenzen-Schulte | Dez 15, 2020
Der Universitätsprofessor, Frauenarzt und Diplompsychologe Matthias Wenderlein nimmt keine Rücksicht und kein Blatt vor den Mund. Der erfahrene Geburtshelfer war über 35 Jahre hinweg in zwei universitären Kliniken mit je 2400 Geburten im Jahr regelmäßig im Kreißsaal tätig. Er war nie wegen eigener Versäumnisse in juristische Streitverfahren verwickelt, aber als Gutachter von Gerichten bestellt. Das betont er, weil auch die Erfahrungen aus der juristischen Bewertung von Geschehnissen im Kreißsaal den Hintergrund seiner Kritik an der im letzten Jahr – mit großem medialen Pomp – veröffentlichten S3 Leitlinie zum Kaiserschnitt eingehen. Er fragt ausdrücklich: Wie viel Erfahrung hatten denn diejenigen, die diese Leitlinie verfasst haben und – in wie viele Prozesse wegen unglücklicher Ergebnisse für Mutter und Kind sind die Beteiligten verwickelt?
Dazu muss man wissen: Die S3 Leitlinie Kaiserschnitt soll eine Richtschnur sein für diejenigen, die den Kaiserschnitt anwenden, empfehlen, durchführen, indizieren – will heißen: Wann gibt es medizinische Gründe, einen Kaiserschnitt vorzunehmen, der Frau dazu zu raten? Bei einer Querlage wird das niemand bestreiten, aber schon bei Beckenendlage oder Steißlage scheiden sich die Geister: Kaiserschnittgegner wollen immer noch so tun, als sei hier eine natürliche Geburt gleich sicher, obwohl die wissenschaftliche Evidenz längst anderes sagt. Noch schwieriger wird es bei den so genannten verzögerten, protrahierten Geburten, die im Grunde bei Erstgebärenden die häufigste Ursache eines Kaiserschnittes sind: Hier gibt es Hardliner, die peitschen die Schwangeren aufmunternd bis zur Zange oder zur Saugglocke, koste es den Beckenboden, was es wolle. Oder gar die Memmenmütter (sorry, das ist jetzt Sarkasmus, aber so werden sie genannt), die gar von sich aus einen Kaiserschnitt wollen. Weil sie ein ungutes Gefühl haben, weil sie ein schweres Kind haben, weil sie 38 sind, weil sie 1.55 groß sind, weil ihre Mutter immer einnässte, weil sie eine Freundin haben, die nicht mehr raus geht wegen Stuhlinkontinenz, oder, oder, oder. Alles gute Gründe zum Beispiel in den Augen der Urogynäkologen, aber nicht für diese Kaiserschnittleitlinie – an der übrigens kein Beckenbodenspezialist / Urogynäkologe beteiligt war. Man ahnt, warum. Gegen die verzerrte Darstellung, gegen Einseitigkeit und Versäumnisse erhebt nun ein erfahrener Frauenarzt die Stimme. Hier sind seine Argumente.
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