von Martina Lenzen-Schulte | März 15, 2025
Der vorletzte Blogbeitrag befasste sich damit, dass Personen, die sich im Bereich Geburtshilfe und Beckenbodenerkrankungen gut auskennen, eher den Kaiserschnitt wählen, wenn sie als Ärztin zum Beispiel selbst ein Kind zur Welt bringen. Sie tun das nicht zuletzt aus der Befürchtung heraus, ihre Beckenbodenmuskeln- und Organe könnten schweren Schaden nehmen. Sie sind nicht überängstlich, nicht panisch, wie ihnen oft vorgeworfen wird. Sie haben Recht. Eine ganz aktuelle Studie aus Spanien hat dies erneut bestätigt. Darin wurde untersucht, wie sehr es die Lebensqualität von Frauen noch fünf bis zehn Jahre nach einer ersten vaginalen Geburt oder einer Bauchgeburt beschädigt, wenn sie Beckenbodenverletzungen und -funktionsstörungen in Form von Stuhl- und Urininkontinenz sowie Organsenkungen davongetragen haben. In der Zusammenfassung der Studie werden Prozentzahlen genannt, die Probleme seien unterdiagnostiziert. Man müsse den Frauen mehr helfen, Awareness schaffen – und noch einige kluge Forderungen mehr. Aber was man erst erkennt, wenn man diese Studie im Detail studiert, ist der große Unterschied zwischen vaginaler Geburt und Kaiserschnitt, wenn man den Beckenboden betrachtet. Nicht, dass dies neu wäre, nicht, dass es hier nicht schon oft mit wissenschaftlichen Daten belegt worden wäre, aber es ist doch eine Bestätigung zu sehen, dass sämtliche Analysen in die eine Richtung weisen: Kaum eine Maßnahme stellt eine so wirkungsvolle Prävention gegenüber Beckenbodenschäden dar wie der Kaiserschnitt. (mehr …)
von Martina Lenzen-Schulte | Okt. 27, 2024
Heute möchte ich meinem Entsetzen Ausdruck verleihen. Meinem Entsetzen darüber, was Geburtshelfende immer noch nicht wissen. Entweder weil sie sich nicht fortbilden, oder weil sie so schwer von Begriff sind oder weil sie sich weigern, es zur Kenntnis zu nehmen. Schwer zu sagen, was schlimmer wäre. Wer diesen Blog liest, weiß längst, was der Levator ist und was er für ein Frauenleben bedeutet. Auf dem letzten Kongress für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Mitte Oktober 2024 stattfand, gab es eine ganze Sitzung eigens über den Levator-Muskel – darüber gibt es einen Bericht im Deutschen Ärzteblatt, frei im Netz, für jeden, jede zugänglich (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/155152/Wenn-der-wichtigste-Beckenbodenmuskel-bei-der-Geburt-reisst). Die Sitzung zeigte, dass sehr viele Frauen bei vaginalen Geburten gefährdet sind, eine Levator-Avulsion, einen Abriss des Muskels, zu erleiden, dass man ihnen kaum Therapien anbieten kann und dass sie folglich ein Leben lang damit klar kommen müssen, eine wichtige Stütze im Beckenboden verloren zu haben. Es gibt gefühlt zig Fachartikel, die für Frauenärzte und Frauenärztinnen in Fachzeitschriften zu diesem Thema veröffentlicht worden sind. Und doch erhält eine Patientin, die nach einer vaginalen Geburt massive Beschwerden hat, die in ihre Geburtsklinik zurückgeht, weil sie Rat sucht und fragt, ob es sich bei ihr um einen Levator-Abriss handeln könne, folgenden Satz als Antwort: “Der kann doch gar nicht abreißen”. Mein erster Gedanke, als ich das hörte, war: “Der dürfte doch gar nicht in der Geburtshilfe arbeiten”. Als Arzt zu sagen, der Levator könne nicht reißen, ist etwa so dumm, falsch und ignorant, wie als Elektriker zu sagen, man könne vom Strom keinen Stromschlag bekommen. Soviel als Begründung, warum ich entsetzt bin.
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von Martina Lenzen-Schulte | Dez. 15, 2020
Der Universitätsprofessor, Frauenarzt und Diplompsychologe Matthias Wenderlein nimmt keine Rücksicht und kein Blatt vor den Mund. Der erfahrene Geburtshelfer war über 35 Jahre hinweg in zwei universitären Kliniken mit je 2400 Geburten im Jahr regelmäßig im Kreißsaal tätig. Er war nie wegen eigener Versäumnisse in juristische Streitverfahren verwickelt, aber als Gutachter von Gerichten bestellt. Das betont er, weil auch die Erfahrungen aus der juristischen Bewertung von Geschehnissen im Kreißsaal den Hintergrund seiner Kritik an der im letzten Jahr – mit großem medialen Pomp – veröffentlichten S3 Leitlinie zum Kaiserschnitt eingehen. Er fragt ausdrücklich: Wie viel Erfahrung hatten denn diejenigen, die diese Leitlinie verfasst haben und – in wie viele Prozesse wegen unglücklicher Ergebnisse für Mutter und Kind sind die Beteiligten verwickelt?
Dazu muss man wissen: Die S3 Leitlinie Kaiserschnitt soll eine Richtschnur sein für diejenigen, die den Kaiserschnitt anwenden, empfehlen, durchführen, indizieren – will heißen: Wann gibt es medizinische Gründe, einen Kaiserschnitt vorzunehmen, der Frau dazu zu raten? Bei einer Querlage wird das niemand bestreiten, aber schon bei Beckenendlage oder Steißlage scheiden sich die Geister: Kaiserschnittgegner wollen immer noch so tun, als sei hier eine natürliche Geburt gleich sicher, obwohl die wissenschaftliche Evidenz längst anderes sagt. Noch schwieriger wird es bei den so genannten verzögerten, protrahierten Geburten, die im Grunde bei Erstgebärenden die häufigste Ursache eines Kaiserschnittes sind: Hier gibt es Hardliner, die peitschen die Schwangeren aufmunternd bis zur Zange oder zur Saugglocke, koste es den Beckenboden, was es wolle. Oder gar die Memmenmütter (sorry, das ist jetzt Sarkasmus, aber so werden sie genannt), die gar von sich aus einen Kaiserschnitt wollen. Weil sie ein ungutes Gefühl haben, weil sie ein schweres Kind haben, weil sie 38 sind, weil sie 1.55 groß sind, weil ihre Mutter immer einnässte, weil sie eine Freundin haben, die nicht mehr raus geht wegen Stuhlinkontinenz, oder, oder, oder. Alles gute Gründe zum Beispiel in den Augen der Urogynäkologen, aber nicht für diese Kaiserschnittleitlinie – an der übrigens kein Beckenbodenspezialist / Urogynäkologe beteiligt war. Man ahnt, warum. Gegen die verzerrte Darstellung, gegen Einseitigkeit und Versäumnisse erhebt nun ein erfahrener Frauenarzt die Stimme. Hier sind seine Argumente.
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von Martina Lenzen-Schulte | Feb. 21, 2020
Wenn der Wind heftiger weht, muss man sich dagegen stemmen. Immer mehr Frauen geben sich nicht mit Beschwichtigungen zufrieden, beklagen ihre Geburtsverletzungen und fragen ihre Hebammen, warum sie nach der Geburt inkontinent sind, den Urin nicht mehr halten können oder sonstige Schäden am Beckenboden davon getragen haben. Das schafft Erklärungsnotstand, denn die Inkontinenz als Folge einer vaginalen Geburt und Schwächung des Beckenbodens ist wissenschaftlich gut belegt. Aber die Hebammen halten dagegen: Eine Leserin meines Blogs machte mich auf eine interessante Mitteilung des Hebammenverbandes in Baden-Württemberg aufmerksam. Dort steht unter der Überschrift: “Drohgebärde Inkontinenz”, dass eine Vermeidung von Inkontinenz als Vorteil für die Wahl eines Kaiserschnitts als Geburtsmodus von der Presse nicht hervorgehoben werden sollte. Warum nicht: Weil Inkontinenz als Folge der vaginalen (“natürlichen”) Geburt heute kein Thema mehr sei. Wirklich?
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von Martina Lenzen-Schulte | Jan. 20, 2020
Geht es um Beckenbodenschäden nach einer natürlichen Geburt, so sind es nicht nur die sofort geschädigten Frauen, die Grund zur Sorge haben. Diese können zwar meist ihre Beschwerden – Urininkontinenz, Prolaps oder Stuhlinkontinenz – unmittelbar mit den Vorgängen während einer natürlichen Geburt in Verbindung bringen. Allerdings macht sich ein Geburtsschaden mitunter erst im Alter von 50+ Jahren bemerkbar. Weil das immer noch früh ist, denn auch Fünfzigjährige wollen nicht mit Windeln oder Pessaren oder Tampons oder Netzimplantaten herumlaufen, machen sich Ärzte immer öfter Gedanken, wie der Verlauf der Schäden nach der Geburt zu bewerten ist. Sprich: Sie fragen sich, welche Frauen dringender als andere nach einer Geburt Hilfe, Therapie, Unterstützung oder Beratung benötigen, um späteren Insuffizienzen des Beckenbodens vorzubeugen. Wie immer staunt man, dass wir auf der einen Seite wissenschaftliche Veröffentlichungen finden, die ganz eindeutige Sätze beinhalten wie diesen hier: “Vaginal birth is one of the strongest risk factors for pelvic Floor disorders”…., und dass auf der anderen Seite immer noch keine Standards existieren, um Frauen vor ihrer Geburt darüber aufzuklären. Wer also sollte nach einer Geburt ganz besonders auf den Beckenboden achten. Die Antwort gibt eine Publikation aus einem der profiliertesten Zentren der Frauenklinik der University von Michigan in Ann Arbor aus der Arbeitsgruppe um John O. Delancey.
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