Schmerzen, Stuhl- und Urinverlust, Scham beim Sex, soziale Stigmatisierung – das sind die Hauptbeschwerden, die einen der schwerwiegendsten Geburtsschaden beschreiben: die Verletzung oder das Einreißen des Darmschließmuskels. Was noch fehlt in diesem S-extett, so schildert es mir eine Patientin, ist die unendliche Wut darüber, dass es überhaupt dazu kommen konnte. “Warum musste das mir passieren, mein Leben ist im Eimer?”, lautete die schonungslose Beschreibung dessen, was an Bedauern und Frust zurückbleibt. Sicher ist dies sehr subjektiv, aber es ist auch ein Aufschrei nach besserer Aufklärung. Fragt man jene Frauen, die einen Geburtsschaden davongetragen haben, so ist oft ihre Hauptbeschwerde, dass man ihnen nicht vorher etwas über die Risiken erzählt hat, ihnen nicht die Wahl ließ, sich eventuell unter Abwägung aller Informationen, für einen Kaiserschnitt entscheiden zu können.

Aber lässt sich vorhersagen, ob man als Schwangere damit rechnen muss, dass der Schließmuskel des Enddarms, der Sphinkter ani, verletzt wird? Das ist ein schwieriges Kapitel. Es gibt Hinweiszeichen, diese sind sogar sichtbar. Aber sie sind nicht zwingend mit Schäden verbunden. Dennoch sollte man sie ernst nehmen. Die Rede ist von Schwangerschaftsstreifen, so genannte Striae gravidarum: Je stärker dieser ausgeprägt sind, desto eher muss man mit mittelgradigen Verletzungen am Beckenboden rechnen.

Wissenschaftler aus Israel haben alle Frauen, die eine Verletzung am Schließmuskel des Enddarms aufwiesen, 6 und 12 Monate nach der Geburt befragt. Außerdem waren bei diesen Schwangeren Art und Umfang der Schwangerschaftsstreifen an Bauch, Po, Hüfte und Brüste festgehalten worden. Sobald ein Dammriss nicht nur oberflächlich die Scheide, Schamlippen und die Haut des Beckenbodens (Grad 1) oder dessen Muskulatur (Grad 2) betrifft, sondern sich bis hin zum Anus ausdehnt und auch den Schließmuskel beschädigt, spricht man von 3. und 4. gradigen Dammrissen, die in der Fachsprache auch als OASIS oder Obstetric Anal Sphincter Injury bezeichnet werden. Diese wiederum teilt man in 3a bis 3c ein, je nachdem, ob der Riss nur bis zur Hälfte den äußeren Schließmuskel zerrissen hat (3a), mehr als die Hälfte (3b) oder auch noch der innere Schließmuskel beschädigt ist. Ist auch noch die Haut des Anus zerrissen – also nicht nur die Muskulatur innen, wodurch es zu Fisteln kommen kann – spricht man von einem 4.gradigen Dammriss.

Es zeigte sich, dass das Ausmaß der Schwangerschaftsstreifen mit dem Schweregrad der Dammrisse am Schließmuskel von Grad 3a nach 3b korreliert. Je ausgedehnter die Streifen, desto weiter gingen die Verletzungen am äußeren Schließmuskel. Grad 3c und 4 passten nicht ins Schema, was aber auch an der geringen Zahl der Betroffenen in diesem Schweregrad gelegen haben kann. Die Schwangerschaftsstreifen gelten als Zeichen eines schwachen Bindegewebes, was sich auch auf molekularer Ebene – als bis hin zu kleinsten Baustellen des Kollagens und der winzigen Fasern – nachweisen lässt. Schäden am Bindegewebe, die durch Dehnung entstehen, können nicht mehr so gut repariert werden. Diese Veranlagung kann auch so gedeutet werden, dass das Bindegewebe nicht so dehnbar ist.

Erstaunlich ist, dass es nicht viele Studien zu dem Thema gibt. Hätte man sich früher ernsthaft mit der Frage beschäftigt, welche Veränderungen bei einer Schwangeren auf mögliche Schäden am Beckenboden hinweisen, wären wir vielleicht schon weiter. Die spärlichen Informationen, die wir haben, sind auch ein Zeichen von der Ignoranz einer Geburtsmedizin, die sich bisher zu wenig darum gekümmert hat, welche Langzeitschäden einer Mutter davonträgt, wie man sie erkennen und womöglich verhindern kann. Im nächsten Blog wird es um andere Risikofaktoren gehen, die einen Beckenbodenschaden befürchten lassen.

Gleichwohl ist es keinesfalls übertrieben, bei starker Ausbildung von Schwangerschaftsstreifen mit dem Frauenarzt über weitere Alarmzeichen zu sprechen. Gibt es sonst noch Hinweise auf eine schlechtes Bindegewebe, etwas Krampfadern? Hatte die Mutter womöglich eine schwere Geburt oder war sie danach inkontinent, wie erging es einer Schwester bei ihren Geburten? Das sind Anhaltspunkte, denen man nachgehen kann, um vorab eine Art Risikoabschätzung vornehmen zu können.

Quellen:

1. Halperin O, et al.: Association between severities of striae gravidarum and Obstetric Anal Sphincter Injuries (OASIS). Midwifery. 2017 Nov;54:25-28. https://www.midwiferyjournal.com/article/S0266-6138(17)30262-0/fulltext

2. Wang F, et al.: Severe disruption and disorganization of dermal collagen fibrils in early striae gravidarum. British Journal of Dermatology. 2018;178(3):749-760. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28815554

3. Rojas GRA, et al.: Prevalence of anal sphincter injury in primiparous women. Ultrasound Obstet Gyneco 2013;42(4):461-6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23576493