In Zukunft möchte ich auch in meinen Blogbeiträgen immer wieder das Wort “Bauchgeburt” mitverwenden. Zum einen gibt mir dies die Gelegenheit, auf die Webseite “Bauchgeburt” – https://bauchgeburt.com/ – aufmerksam zu machen. Hier können sich Schwangere, die einen Kaiserschnitt planen, kundig machen, wie man sich darauf vorbereiten kann. Ja, es gibt auch Vorbereitungskurse für angehende Kaiserschnittmütter. Wie bei der vaginalen Geburt kann man nämlich vieles richtig und auch vieles falsch machen.

Ein weiteres Anliegen ist mir aber, mit diesem Begriff erneut ein weit verbreitetes Problem aufzugreifen: So vielen Müttern, die nicht “natürlich” geboren haben, wird unterschwellig irgendwie abgesprochen, “richtig” geboren zu  haben. Sind das überhaupt “echte” Mütter? Wer das als übertrieben zugespitzte Fragestellung empfindet, der sollte sich mit all den (sprachlichen) Bürden befassen, die dem Kaiserschnitt aufgehalst worden sind. Denn auch unser Sprechen über den Kaiserschnitt trägt im Grunde eine gewisse Mitschuld daran, dass dieser Eingriff mit Altlasten beschwert ist, die eigentlich nur negative Assoziationen und Vorstellungen hervorrufen. So wird verdeckt, was alles Gutes im Kaiserschnitt steckt. Er ist für viele Schwangere und ihr Kind ein Königsweg, eine Rettung vor so viel Argem, was in früheren Zeiten der Menschheit wie eine schwarze Wolke auf allen Geburten hing. Obwohl ich den Begriff “Kaiserschnitt” als würdig und kraftvoll ansehe, obwohl ich der Meinung bin, dass man ihn nicht gegen seine Gegner verteidigen muss, sehe ich doch die Notwendigkeit, den Schwangeren und Müttern Schützenhilfe zu geben, um zu verstehen, dass sie gebären, wenn das Kind durch den Bauch das Licht der Welt erblickt, dass sie keinesfalls Mütter zweiter Klasse sind.

Kaiserschnittkinder sind, so will es unsere abendländische Tradition, nicht geboren, Ungeborene. Die Weltliteratur zeugt davon.  Eine Berühmtheit ist hier Shakespeares Macduff. Macduff ist per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen, das ist der Kniff, den Shakespeare in seinem Drama um den König Macbeth anwendet. Macduff ist der Widersacher von Macbeth und kann diesen nur deshalb töten, weil er ein „Ungeborener“ ist. Drei Hexen hatten Macbeth einst geweissagt, er könne nicht von jemandem getötet werden, der von einer Frau geboren worden sei. Macbeth deutete das so, als könne er nicht durch Menschenhand fallen, und verhöhnte darum seinen Gegner Macduff vor dem letzten Zweikampf. Aber Macbeth irrte sich, während die Prophezeiung stimmte. Denn Macduff war eben “not of woman born”, wie das im Englischen heißt, nicht von einer Frau geboren. Auch im Althochdeutschen nannte man Kaiserschnittkinder “obornin”, also Ungeborene. Im Lateinischen erhielten sie den Beinamen nonnatus (nicht geboren). Natürlich kamen in alten Zeiten Kaiserschnitte nur dann zur Anwendung, wenn die Mutter bereits tot war, man aber vermuten konnte, dass das Kind noch lebte. Das geschah nicht zuletzt unter dem Einfluss der katholischen Kirche, damit das Kind lebend getauft werden konnte und seine Seele somit als gerettet galt.

Lassen wir uns auf der Zunge zergehen, was das heißt: So wie das Kind als ungeboren herabgewürdigt wird, wird die Mutter zu einer Frau, die nicht geboren hat, denn dieses Kind ist “not of woman born”. Hinter der auch heute noch üblichen Frage an Kaiserschnittmütter “Hast Du es nicht geschafft?” steckt im Grunde viel mehr als die nicht immer nur besorgt gemeinte Attitude mancher Frau nach vaginaler Geburt, die sich einer Kaiserschnittmutter überlegen fühlt. So viele Sätze, die über den Kaiserschnitt und über Kaiserschnittmütter fallen, drücken aus, es handele sich um etwas “Falsches”, “Unnatürliches”, etwas, das irgendwie nicht stimmt. Aber obwohl wir die vaginale Geburt eine “natürliche” Geburt nennen, ist auch ihr angesichts von Kügelchen bis PDA und von Dammschnitt bis Saugglocke in der überwiegenden Zahl nur noch ein verschwindend kleiner Rest Natürlichkeit. Aber das war schon immer so. Die Geschichte der Geburtshilfe zeugt davon, dass neben der Prostitution das Hebammenwesen eines der ersten Gewerbe von Frauen war. Geburten waren nämlich immer schon auf Hilfe angewiesen, weil uns die Evolution einem Geschehen aussetzt, das auf Kante genäht war. Der aufrechte Gang verlangt ein enges Becken, damit die Organe in der Senkrechten oben gehalten werden – ein Kompromissausgang nach unten, der schon viele Frauen in der Menschheitsentwicklung bei Geburten das Leben gekostet hat.

Der Kaiserschnitt bedeutete – nicht nur bei Shakespeare – ein Neudenken des Hergebrachten; Macbeth hatte einen zu kleinen Horizont, er konnte sich nicht vorstellen, dass auch ein Kaiserschnittkind ein Mensch ist. Aber obwohl der Kaiserschnitt weltweit eine der häufigsten Operationen darstellt, obwohl er unzähligen Kindern und Müttern Leben und Gesundheit gerettet hat, haben es Kräfte und Deutungsmächte – welche auch immer das waren – geschafft, das, was eigentlich eine Wahnsinnserfolgsgeschichte der Medizin darstellt, umzudeuten: Fast jeder Kaiserschnitt muss bis heute “gerechtfertigt” werden, als müsse man sich entschuldigen, der Natur ins Handwerk gepfuscht zu haben. In der Geschichte der Geburtshilfe hält sich hartnäckig ein Fehlurteil: Frauenärzte (damals Männer) haben an Schwangeren rumexperimentiert, weil sie so operationswütig waren und krönten die Medikalisierung der Geburtshilfe, die ausufernde Überwachung der Schwangeren, mit einer unentschuldbaren Zunahme der Kaiserschnittrate. Ein brutaler Schnitt, eine große Bauchoperation – Sectio eben – gegen ein natürliches Geschehen, im Idealfall sanft und elementar in einem Akt vereint.

So will es die historische Verklärung. Geburten mögen natürlich sein, Erdbeben und Tsunamis sind das auch, sanft und ungefährlich sind sie ebenso selten wie diese Naturereignisse. Und deshalb müssen wir die Geschichte des Kaiserschnitts neu schreiben. Nehmen wir mal den Mann, der das Operationsverfahren so, wie es heute noch gemacht wird, entwickelt hat. Das war der Frauenarzt und Chef der Heidelberger Universitätsklinik Ferdinand Adolf Kehrer. Am 24 September 1881 operierte er auf diese Weise erstmals Emilie Schlusser, die zum 4. Mal schwanger war, sie hatte zuvor drei Kinder vaginal geboren. Aber diesmal klappte es nicht, man alarmierte schließlich und Gott sei Dank den Spezialisten aus der Universitätsklinik, alles wurde gut. Wir müssen uns fragen, warum es ein – in seinen Schriften – vielfach erklärtes Anliegen von Kehrer war, den Kaiserschnitt so zu perfektionieren, dass keine Mutter mehr daran starb. Er wollte helfen, denn – das belegen Schriften ebenfalls – er begleitete seinen Vater, einen Landarzt, schon als Junge zu Geburten. Was er dabei erlebte, war bittere Realität in jener Zeit. Frauen starben elendiglich nach Tagen, wenn ein Kind zum Beispiel quer lag. Kehrer wollte nicht an Frauen experimentieren oder jede operieren, die nicht weglief: Er wollte Leben retten, Leiden lindern und er wollte den Kaiserschnitt so sicher machen, dass man ihn früh im Verlauf der Geburt anwenden konnte, wenn diese eh unmöglich war, damit die Mutter nicht am Blutverlust oder an einer Infektion starb, sondern man beide, Mutter und Kind retten konnte.

Kehrer ist nur ein Beispiel für viele engagierte Ärzte, die das Elend unter der Geburt kannten und das Schicksal solcher Frauen wenden wollten. In England etwa kamen entscheidende Impulse zum Kaiserschnitt aus jenen Industrieregionen, wo Frauen oft ein zu enges knöchernes Becken zum Gebären hatten (als Kinderarbeiterinnen hatten sie in den Kohlerevieren gearbeitet, zu wenig Sonne abbekommen und der Vitaminmangel plus Knochenerweichung hatte ihr Becken schon im Kindes- und Jugendalter deformiert). Es gab dort viele Frauen, die gar nicht gebären konnten, die gleichsam todgeweiht waren. Und in jenen Regionen, wo sich solche Beobachtungen häuften, bemühten sich Geburtshelfer eben intensiv um Lösungen. Diese Erklärungen kommen in der Historie vom Kaiserschnitt nicht vor. Sein minderwertiger Status blieb erhalten, ein Kaiserschnitt ist “second best”, Notlösung, ein Symbol für den Hype der Medizin wider eine Natur, die es angeblich besser weiß.

Um also das Wort “Sectio” für Schnitt oder das Wort “Kaiserschnitt”, das eben all das negative Erbe in sich trägt, durch einen neuen Begriff von diesen Konnotationen zu befreien, möchte ich in Zukunft auch öfter und immer wieder von der “Bauchgeburt” sprechen. Sie würdigt die operative Entbindung als “Geburt” und erkennt an, dass es unterschiedliche Königswege gibt, Leben zu schenken und Kinder in die Welt zu entlassen. Wir leben in einer Zeit, in der wir das selbst bestimmen dürfen, wir haben eine Wahl, die Generationen von Frauen vor uns nicht hatten. Das ist großartig.

 

Quellen: Lenzen-Schulte M: 
Wie der Kaiserschnitt zum Klassiker wurde. Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. April 2014 
https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/geburtshilfe-wie-der-kaiserschnitt-zum-klassiker-wurde-12873142.html
https://myablefy.com/s/informed-motherhood/c-section
Blumenfeld-Kosinski R: Not of Women born. Reprint 2019. ISBN-13: 978-1501740473
https://www.amazon.de/Not-Woman-Born-Representations-Renaissance/dp/1501740474.