Im letzten Blog konnte ich anhand eines umfassenden Artikels zum Beckenbodenschutz von führenden deutschsprachigen Urogynäkologinnen und Urogynäkologen nachweisen, dass das Thema Dammschutz in deutschen Kreißsälen nicht ernst genommen wird. Eine der wenigen Maßnahmen, die nachweislich helfen – warme Kompressen – werden kaum angewendet. Das ist umso sträflicher, als es wenig anderes gibt, was Hebammen und ärztliche Geburtshelfer und -helferinnen tun können, um den Damm zu schützen. Dammschutz wird vollmundig in den Geburtsvorbereitungskursen oder an Tagen der offenen Tür in Geburtskliniken versprochen. Dass die Wissenschaft zahlreichen Maßnahmen bescheinigt, nicht zu wirken, kommt bei den oft beschwichtigenden Veranstaltungen nicht zur Sprache. In diesem Blog gibt es bereits einen Beitrag zum äußerst fraglichen Nutzen des Epi-No®-Beckenbodentrainers. Schon 2016 wussten Leserinnen dieses Blogs, dass sie sich nicht darauf verlassen sollten, vor der Geburt damit die Scheide zur Unzeit auf zu dehnen. Die jüngste Bestandsaufnahme bestätigt dies: der Epi-No® verringert nicht die Zahl der Schließmuskelverletzungen am Darmausgang, nicht die Anzahl der Dammschnitte und nicht die Dauer der Austreibungsperiode, um die wichtigsten Kriterien zu nennen. Aber wir erfahren im Artikel noch viel mehr.

Vor der Geburt können Dammmassagen zwar helfen, die Schmerzen zu verringern, aber ansonsten: Kein Nutzen, was das eigentliche Verletzungsrisiko am Beckenboden angeht. Überwachtes Beckenbodentraining (wer bekommt so etwas verschrieben, aber gut, wir nehmen an, die Schwangeren würden so gut betreut) kann allenfalls die Muskelkraft erhöhen und die Gefahr einer Urininkontinenz verringern. Unklar ist, ob es gegen Stuhlinkontinenz schützt, aber klar ist: die Verletzungsrate am Beckenboden wird dadurch nicht geringer. Gruppenübungen, die zur verbesserten Wahrnehmung des Beckenbodens führen sollen, führen zur verbesserten Wahrnehmung des Beckenbodens: Ich entschuldige mich für diesen Sarkasmus beim Formulieren, aber das nützt höchstens etwas, wenn Frauen nach der Geburt, wenn sie verletzt sind, dann besser den Beckenboden trainieren können, aber die Verletzungsrate wird nicht verringert. Das ist die Farce, die es zu enttarnen gilt: Wenn schon die Schwangere lernt, den intakten Beckenboden besser kennenzulernen, ist es später, wenn es zu spät ist, einfacher, die Schäden mittels Übungen zu verringern.

Und schließlich schreiben die Autoren im Kapitel über vermeidbare und reduzierbare Risiken, dass sie allen Frauen empfehlen, möglichst früh das erste Kind zu bekommen. Betrachte man Geburten im Hinblick auf Beckenbodenschäden, sei es schon riskant, jenseits des 30. Lebensjahres das erste Kind zu bekommen – das sei ein Risikofaktor für Frauen, später einen Prolaps, eine Senkung von Organen wie Gebärmutter, Harnblase oder Enddarm zu erleiden. Statt dass Mitarbeitende im Kreißsaal aufgefordert würden, den Dammschutz anzuwenden, der hilft, mahnt man Frauen, doch bitte ihre Lebensplanung so einzurichten, dass sie möglichst selbst die Gefahr von Geburtsverletzungen klein halten.

Es geht weiter mit den Maßnahmen unter der Geburt: Stehend zu gebären birgt Vorteile, besonders bei Erstgebärenden verkürzt es die Austreibungsperiode, verringert die Zahl der Dammschnitte (ich vermute, weil der bei der stehenden Frau einfach noch schwieriger richtig zu schneiden ist als bei der liegenden), verringert die Zahl der Saugglocken- und Zangengeburten und es erhöht die Zufriedenheit der Frau. Aber: die Dammrisse höherer Grade, sprich die Verletzungen der Darmschließmuskeln nehmen zu. Und Achtung: Bei Mehrgebärenden, die sich vielleicht dadurch besser fühlen, nimmt die Zahl der Dammverletzungen im Vergleich zu denen bei Erstgebärenden sogar noch mehr zu. Zudem riskieren mehr Schwangere dabei einen Blutverlust von mehr als einem halben Liter Blut. Also sollten Frauen dies wissen, wenn sie zu solchen stehenden oder sitzenden, aufrechten Gebärpositionen ermuntert werden, es kann auch anders kommen.

Die Autorinnen und Autoren des Artikels gehen auch auf die Dauer der Austreibungsperiode ein. Je länger sie währt, desto problematischer für den Beckenboden. Dann wird öfter zur Saugglocke gegriffen oder gar zur Zange, weder für Mutter noch für das Kind erstrebenswert. Auch das Risiko für eine schwere Infektion der Eihäute – Chorionamnionitis – ist dann größer. Es gibt ebenfalls mehr Dammrisse Grad 3 und 4, also höhergradige. Dann besteht die Gefahr der Uterusatonie – weil die Gebärmutter so erschöpft ist, kann sie sich nicht mehr zusammenziehen, es drohen schwere Blutungen. Ganz unscheinbar wird noch erwähnt, die Regeneration der Darm- und der Analfunktionen könne sich verlängern oder nur noch unvollständig gelingen. Das ist ein Euphemismus, eine Beschönigung. Das bedeutet, dass danach die Frauen dauerhaft entweder Darminhalt verlieren oder sonstige schwer Verdauungsprobleme haben. Außerdem reißt bei verlängerten Geburten der Levator ani, der König der Beckenbodenmuskeln, viel eher ab. Geduld für verlängerte Austreibungsperioden zu predigen, ist mithin ein Wagnis und bürdet Mutter und Kind hohe Risiken auf.

Schließlich wird noch angemahnt, man müsste den Dammschnitt richtig machen, zu den Fehlern dabei und den mangelnden Fertigkeiten, einen korrekten Dammschnitt zu machen, habe ich mich hier im Blog schon geäußert. Ebenso zu Maßnahmen nach der Geburt, hier bleiben die Ausführungen zum Erfolg von Physiotherapie und Pessartherapie merkwürdig schmallippig, obwohl es dazu vieles zu sagen gäbe, aber auch dazu gab es schon Beiträge hier im Blog.

Fazit: Selbst in Fachartikeln, die sich klar dazu bekennen, dass der Kaiserschnitt nicht die allein seligmachende Therapie für die Vermeidung von Beckenbodenschäden sein kann, kann “frau” lesen, dass unterbleibt, was hilfreich wäre, dass viele gepriesenen und den Schwangeren angedienten Maßnahmen kaum nützen, will man den Beckenboden effektiv schützen und dass eine echte Risikokalkulation wichtig wäre, um das individuelle Risiko einer Schwangeren vorab zu erkennen. Oder wir kehren zu den Verhältnissen von vor 50 Jahren zurück, da bekamen noch die meisten Frauen ihr erstes Kind mit 25 oder früher.