Also endlich, denkt man, endlich sind auch im Fernsehen die “Beckenbodenschäden nach Geburt” mal ein Thema. Endlich greift man auf, dass nach Geburten eine Vielzahl von Frauen den Urin, die Darmwinde, die Organe nicht festhalten, nicht zurückhalten, überhaupt nicht halten können. Aber am Ende ist man / “frau” doch wieder enttäuscht. Die Sendung macht nur wenig richtig und vieles falsch. Der Eindruck entsteht, man könne die Beschädigungen meistens “therapieren”, irgendwie wieder richten. Weit gefehlt. Lesen Sie meine Fernsehkritik, ein Protokoll der Enttäuschung.
Die Redakteurin vom NDR, Susanne Kluge-Paustian, hatte im Herbst in den Frauen-Netzwerken und Social Media Plattformen angefragt, welche Geburtsopfer bereit wären, über ihre Beckenbodenschäden offen zu sprechen. “Heldinnen” seien gesucht, hieß es. Etliche freuten sich, sollte doch endlich das Thema, das allen in den einschlägigen Gruppen so am Herzen liegt, in einer populären Gesundheitssendung wie der NDR-Visite aufgegriffen werden. Wir bemühten uns händeringend um Gesprächspartnerinnen, die Zeit drängte, man kennt es. Aber die Sendung, die jetzt ausgestrahlt wurde, lässt den Kreis derjenigen, die sich seit Jahren über Blogs, Webseiten, in sozialen Foren um Aufklärung bemühen, ratlos und enttäuscht zurück. Wer sich ein Bild machen will, hier geht es zur Sendung: https://www.ndr.de/ndr-text/fernsehen/visite/geburtsverletzungen-was-frauen-langfristig-belasten-kann,visite-458.html
Der Tenor ist, hast Du erstmal ein Pessar, ist das Reiten kein Problem. Wer den Blog hier kennt, weiß, dass ich wirklich viel von Pessaren halte, aber ein Allheilmittel sind sie nicht und sie sind letztendlich eine Prothese. Sie können viele Zustände halbwegs bessern, aber sie bringen den ursprünglichen Zustand nicht zurück.
Es braucht bloß eine kundige Diagnostik, so geht es weiter in der Sendung, es braucht eine kundige Beckenbodentherapeutin (wie sie emphatisch in der Sendung rüberkam), gezielte Physiotherapie oder Stimulationstherapie, das soll dann die Probleme lösen. Darüber, dass die meisten Studien kaum oder gar keine Erfolge durch Physiotherapie zeigen, wird kein Wort verloren. Ich habe im Blog und in zahlreichen Artikeln darauf aufmerksam gemacht, dass es oft daran liegt, dass die Betroffenen nicht genügend Behandlungen bezahlt bekommen, dass es schwer ist, die Programme durchzuhalten, dass letztlich vieles auch nicht helfen kann, wenn die Muskeln gerissen sind. Dass viele Therapien Selbstzahlerleistungen sind, wird überhaupt nicht problematisiert – dabei ist das ein weiterer Skandal. Das System lässt die Frauen mit ihren Problemen allein, auch finanziell. Und schließlich: der Laser, immer erfolgreicher bei diversen Beckenbodenschäden, wird überhaupt nicht thematisiert.
Einzig die zwei ausgewiesenen Urogynäkologinnen sprechen an, wie versehrt die Frauen sind, wie alles im Leben davon betroffen ist, auch die Sexualität. Aber das ist es auch schon. Am Schluss kommt Mandy Mangler – als gynäkologische Chefärztin gefragt – leider mit der Botschaft in meinen Augen so rüber, als ließe sich alles richten, wenn man nur endlich das Tabu breche und wir mehr darüber reden würden. Keine Zweifel, Frau Mangler hat ihre Verdienste, was die Benennung der weiblichen Organe und Strukturen im und am Beckenboden angeht – aber von urogynäkologischen Outcomes scheint sie wenig bis nichts zu verstehen. Bei schlimmen Senkungen helfe die OP, kommt man am Ende versöhnlich und ermutigend zwischen der Moderatorin und der Expertin überein. Wenn man dazu die richtige Expertise mitbringe, “dann sind es unkomplizierte OPs”, versteigt sich Mangler zu einem Urteil, das man leider als falsch und undifferenziert bezeichnen muss. Diese OPs sind oft nicht evidenzbasiert untersucht und bisher erfolglos (bei Levator Abriss), manche Netzoperationen sind risikobehaftet und haben zu Warnhinweisen geführt, man sucht dringend nach Alternativen, viele OPs kommen zu spät, weil etwa der Darmschließmuskel nach einer Geburt oft nicht richtig untersucht, die Verletzungen nicht entdeckt, eine Therapie erst gar nicht in die Wege geleitet wird. Das hätte es zu thematisieren gegolten – damit sich etwas ändert im Sinne der Betroffenen.
Schließlich muss ich eine Bemerkung zum Wording loswerden: Frau Mangler benutzt den Ausdruck “Konsequenzen” einer Geburt. Das ist ein gutes Wort, wenn man etwas nicht sagen will. Wenn man nicht sagen will, was Levator-Abrisse, was der nicht kontrollierbare Verlust von Urin und Darminhalt bedeutet. Wenn man die Tatsache, dass die Gebärmutter aus der Vagina herausragt oder die Vagina sich beim Sex so weit anfühlt, dass man eben nichts mehr fühlt, irgendwie bemänteln will – als Konsequenzen. Von jemandem, der darauf drängt, dass wir die richtigen Worte wählen, wenn wir über den Beckenboden reden, hätte ich erwartet, dass sie über die Konsequenzen ihrer Wortwahl bewusster nachdenkt. Oder ist auch hier Beschwichtigung das intendierte Ziel. Wir müssen viel mehr drüber reden, hieß es immer wieder. Das stimmt. Aber nicht so.