Vaginale Geburten sind schuld, wenn Frauen später Senkungs- und Kontinenzoperationen benötigen

Wenn es gilt, eine vaginale Geburt gegen einen Kaiserschnitt abzuwägen – weil das Kind sehr schwer, die Schwangere schon älter ist – dann sollte ein Beckenbodenschaden nicht leichtfertig in Kauf genommen werden, nur weil damit ein OP-Risiko vermieden wird. Denn viele Frauen fürchten sich vor einem Kaiserschnitt, weil es eine Bauchoperation, ein chirurgischer Eingriff ist, den sie vermeiden wollen. Aber das ist nur vermeintlich so. Denn es wird kein OP-Risiko vermieden, wenn ein Beckenbodenschaden wahrscheinlich ist. Es wird vielmehr ein OP-Risiko für andere Operationen in Kauf genommen, zum Teil für mehrere. Vaginale Geburten sind nämlich der Hauptgrund, warum eine Frau eine “Unterleibsoperation” benötigt. Das können Senkungsoperationen – medizinisch Deszensusoperationen – sein. Das können Eingriffe sein, die die Kontinenz für Urin wieder herstellen, es können Operationen mit oder ohne Netz sein, es können Operationen mit Entfernung der Gebärmutter oder ohne sein – es sind jedoch immer Operationen, die exklusiv nur wegen einer früheren vaginalen Geburt notwendig geworden sind. Dies ist das Ergebnis einer schwedischen Studie, die drei große Register ausgewertet hat. Ein weiteres Ergebnis war, dass der Kaiserschnitt offenbar vor solchen Operationen bewahrt. Das Risiko, nach einem Kaiserschnitt diese Art von Eingriff über sich ergehen lassen zu müssen, war verschwindend gering und nicht höher als das einer Frau, die nie schwanger war. Wir müssen künftig umdenken und umformulieren: Die vaginale Geburt bewahrt keineswegs vor einem Operationsrisiko, der Kaiserschnitt bewahrt hingegen zuverlässig vor Beckenbodenschäden. (mehr …)

Levator-Abriss: Wenn ein Arzt seine eigene Ignoranz offenbart

Heute möchte ich meinem Entsetzen Ausdruck verleihen. Meinem Entsetzen darüber, was Geburtshelfende immer noch nicht wissen. Entweder weil sie sich nicht fortbilden, oder weil sie so schwer von Begriff sind oder weil sie sich weigern, es zur Kenntnis zu nehmen. Schwer zu sagen, was schlimmer wäre. Wer diesen Blog liest, weiß längst, was der Levator ist und was er für ein Frauenleben bedeutet. Auf dem letzten Kongress für Gynäkologie und Geburtshilfe, der Mitte Oktober 2024 stattfand, gab es eine ganze Sitzung eigens über den Levator-Muskel – darüber gibt es einen Bericht im Deutschen Ärzteblatt, frei im Netz, für jeden, jede zugänglich (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/155152/Wenn-der-wichtigste-Beckenbodenmuskel-bei-der-Geburt-reisst). Die Sitzung zeigte, dass sehr viele Frauen bei vaginalen Geburten gefährdet sind, eine Levator-Avulsion, einen Abriss des Muskels, zu erleiden, dass man ihnen kaum Therapien anbieten kann und dass sie folglich ein Leben lang damit klar kommen müssen, eine wichtige Stütze im Beckenboden verloren zu haben. Es gibt gefühlt zig Fachartikel, die für Frauenärzte und Frauenärztinnen in Fachzeitschriften zu diesem Thema veröffentlicht worden sind. Und doch erhält eine Patientin, die nach einer vaginalen Geburt massive Beschwerden hat, die in ihre Geburtsklinik zurückgeht, weil sie Rat sucht und fragt, ob es sich bei ihr um einen Levator-Abriss handeln könne, folgenden Satz als Antwort: “Der kann doch gar nicht abreißen”. Mein erster Gedanke, als ich das hörte, war: “Der dürfte doch gar nicht in der Geburtshilfe arbeiten”. Als Arzt zu sagen, der Levator könne nicht reißen, ist etwa so dumm, falsch und ignorant, wie als Elektriker zu sagen, man könne vom Strom keinen Stromschlag bekommen. Soviel als Begründung, warum ich entsetzt bin. 

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Studie zeigt: Frauen mit Beckenbodenschäden nach Geburt werden abgewimmelt und in ihrer Not allein gelassen

Wenn Frauen, die nach einer natürlichen Geburt erkennbar schlimme Verletzungen am Beckenboden davon getragen haben, sich mit ihren Sorgen und Nöten abgewiesen und abgelehnt fühlen, haben sie Recht. Es handelt sich eben nicht um überzogene Empfindlichkeit, es ist nicht neurotisch und der Grund ihrer Beschwerden liegt nicht an der Unfähigkeit, mit den Folgen einer Geburt richtig umzugehen. Es ist vielmehr falsch, dass das medizinische System sie nicht ernst nimmt. Jetzt haben wir es amtlich – wissenschaftlich beglaubigt.

Ein ebenso bewegender wie überfälliger Artikel zeigt nämlich nun mit dem Finger auf die Missstände: “Overlooked by the obstetric gaze” heißt der Titel (1). Die Bedürfnisse der Frauen werden verneint, man tut so, als sei das alles “normal”, sie erhalten nicht nur zu wenig Diagnostik und Therapie, auch mit Problemen am Arbeitsplatz – wenn sie wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung krank geschrieben werden müssen – lässt man sie allein. Jetzt kann man den Ärztinnen und Ärzten, die immer und immer wieder abwimmeln, einen Artikel vor die Nase halten, der beglaubigt, dass die Patientin, die sie so gerne los werden möchten, eigentlich Recht hat. (mehr …)

Der Levator-Abriss kommt bei natürlicher Geburt häufig vor und ist eine Hypothek für ein Frauenleben

Vor kurzem hat der international renommierte Beckenbodenforscher, Frauenarzt und Urogynäkologe John O. L. DeLancey mit seiner Pelvic Floor Research Arbeitsgruppe an der Michigan Universität in Ann Arbor eine sehr wichtige wissenschaftliche Übersicht über Beckenboden-Verletzungen unter vaginalen Geburten und ihre gravierenden Nachwirkungen für ein Frauenleben publiziert (1). Es geht vor allem um Levator-Avulsionen.  Der M. Levator ani stellt mit seinen drei Hauptanteilen – M. pubococcygeus, M. puborectalis und M. ileococcygeus – die wichtigste muskuläre Haltestruktur des Beckenbodens dar (Abb.). Er spannt sich gleichsam wie eine Hängematte von der Hinterseite der Schambeine bis zum Steißbein.

Bild mit Levator aniQuelle: DeLancey: Die Dehnung der Anteile des Levator ani unter der Geburt. Der Levatormuskel besteht aus mehreren Teilen, die hier in englischer Sprache bezeichnet sind. Man sieht auch schön den äußeren Schließmuskel, der den Darm abdichtet (external anal sphincter) Das Stück vom Anus bis nach oben zur Scheide, wo der Babykopf austritt, ist der Damm, der bei der Geburt ganz oder teilweise einreißen kann, zusätzlich kann der äußere (und seltener auch der hier nicht sichtbare innere) Darmschließmuskel reißen.

Als Levatoravulsion oder -teilavulsion bezeichnet man den vollständigen oder unvollständigen Abriss auf einer Seite rechts oder links neben der Innenseite der Symphyse, dort wo die beiden Schambeine am Beckenring zusammentreffen. Entscheidend ist, dass Frauen mit Levator-Avulsionen ein vierfach höheres Risiko haben, dass ihre Beckenorgane sich senken, sie also mit einem Gebärmuttervorfall, einer Blasensenkung oder einer Darmsenkung zu kämpfen haben. Operationen, die das wieder beheben sollen, scheitern zwei-bis zweieinhalbfach öfter, wenn der Levator abgerissen ist. Warum Frauenärzte sich damit befassen sollen, habe ich in einem aktuellen Artikel in der deutschen Fachzeitschrift “Frauenarzt” erläutert (2).

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